Ambler by Ambler
daraus resultierenden Rationalisierungsmaßnahmen zu einer Verringerung der Zahl der leitenden Angestellten um zwei Drittel führen müssen. Praktisch wurde sie nur um die Hälfte reduziert, doch der Streß heftiger interner Kämpfe lastete auf allen Beteiligten, inklusive Miss Miller. Und rundum wurde die Wirtschaftskrise immer schlimmer. Wir bewegten uns auf die dreißiger Jahre zu, und nicht einmal die, die bisher ungeschoren davongekommen waren, konnten sich allzu sicher fühlen.
Die reorganisierte Abteilung unter Miss Miller war in starkem Maße abhängig von der Werbeagentur, an die sie in besseren Zeiten ihre Aufträge vergeben hatte, die aber nicht mehr zur vollen Zufriedenheit arbeitete. Es wäre ganz einfach, das Portefeuille jemand anders zu geben. Ein einziger Anruf würde genügen, doch war durch einen solchen Wechsel das Problem tatsächlich zu lösen? Die Schwierigkeit lag zum Teil darin, daß das Unternehmen viel zu schnell in zu viele Richtungen expandiert hatte. Es wucherte geradezu. Wenn seine Behauptung, es stelle sämtliche Elektroartikel her, auch maßlos übertrieben war, so produzierte es doch eine zu große Zahl unterschiedlichster Elektroartikel. Bei einer so breiten Produktpalette gab es entsprechend große Absatzprobleme. Für eine Werbeagentur, zu deren Klienten international führende Cornflakesfabrikanten und Arzneimittelproduzenten mit riesigen Werbeetats gehörten, war die Arbeit mit uns nicht gerade die reinste Freude. Am profitabelsten für die Agentur war der Teil unseres Werbebudgets, der für Zeitungsanzeigen und Plakate ausgegeben wurde. Vergleichsweise unprofitabel für die Agentur, aber außerordentlich wichtig für uns war das Reklamegeschäft im technischen Bereich und in den Fachzeitschriften. Am besten war die Agentur natürlich dort, wo es um das große Geld ging. Werbetexter, die gewöhnlich schwungvolle Reklamekampagnen für Cornflakes, Abführmittel und Seifenflocken entwarfen, waren auch imstande, schwungvolle Reklamekampagnen für Glühbirnen und elektrische Haushaltsgeräte zu entwerfen. Wenn es jedoch darum ging, eine Serie von ganzseitigen Zeitungsanzeigen zu gestalten, mit denen Autohändlern beispielsweise eine neue Trockenbatterie vorgestellt werden sollte oder den Lesern der ›Architectural Review‹ eine verbesserte Neonbeleuchtung, dann waren die Jungs hoffnungslos überfordert. Sie hätten viel dafür gegeben, sich damit nicht herumschlagen zu müssen, wußten aber auch, daß sie weg vom Fenster waren, wenn sie das offen sagten. Also lieferten sie weiterhin für Fachzeitschriften bestimmte Texte, die andauernd umformuliert werden mußten, früher von Miss Miller, jetzt im allgemeinen von mir.
Ihr Vorschlag war einfach. Da ich die Arbeit der Agentur zu einem erheblichen Teil selber machte, sollte die Agentur mich einstellen. Sie sollte mir auch ein bißchen mehr zahlen. Ich sei mehr wert. Ich hätte Talent. Und noch etwas, fügte sie rücksichtsvoll zu: in der überkandidelten Welt der Londoner Werbeagenturen würde ich nicht so viele mittägliche Biertrinker und Druckereivertreter mit dicken Spesenkonten treffen.
Meine Karriere als Werbetexter begann mit einem hübschen kleinen Schwindel.
Am Freitag, ehe ich bei der Agentur anfing, hatte ich noch Vollmacht gehabt, alle Textentwürfe zu genehmigen, ohne sie Miss Miller noch einmal vorlegen zu müssen. Drei Tage später, am Montag, saß ich in der Agentur an einem Schreibtisch und hatte überhaupt keine Vollmacht für irgend etwas. Dessenungeachtet nahm ich am Montagnachmittag alle Texte, die ich am Vormittag für Miss Miller geschrieben hatte, genehmigte sie höchstpersönlich und zeichnete sie, unter den Augen eines belustigten Angestellten, mit meinem Namenskürzel ab. Das hieß, daß sie nicht mehr losgeschickt werden mußten, um von ihr genehmigt zu werden. Als ich die Genehmigung auch noch kühn um eine Woche zurückdatierte, wurde das Schmunzeln immer breiter. Er machte mir Komplimente. Er meinte, ich hätte begriffen, worauf es bei dem Spiel ankomme. Ich sei ein Pragmatiker. Mit mir könne man bestimmt gut zusammenarbeiten. Ich sei der Sohn meines Vaters.
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ie Textabteilungen der großen Londoner Werbeagenturen der frühen dreißiger Jahre sind zuweilen als Brutstätten linksextremistischer Verschwörer und kommunistischer Sympathisanten beschrieben worden. Das ist ein verständlicher Irrtum. Ein Außenstehender mag zwischen den Methoden der Beeinflussung von Käufern und denen der
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