Ambler by Ambler
politischen Agitation einen möglicherweise nur geringen Unterschied erblicken. Aber in der damaligen Zeit hätte man die Brutstättentheorie, vor allem unter Insidern, für einen absurden und wahrscheinlich mißlungenen Witz gehalten. Die Textabteilung, in der ich nun arbeitete, war wohl ziemlich typisch. Einige von uns mögen ein bißchen merkwürdig, ja exzentrisch gewesen sein, doch über Politik haben wir normalerweise nicht gesprochen. Der Chef unserer Abteilung, ein Mann mit nur wenigen Freunden, hatte das, was man heute als Identitätsproblem bezeichnen würde. Als ich in die Firma eintrat, hatte er gerade die frühen Filme der Marx Brothers entdeckt und gefiel sich als Groucho. Sein Schnauzbart war zwar nicht aufgeschminkt wie beim echten Groucho, aber zum Verwechseln ähnlich gestutzt, und er konnte genauso wie Groucho mit den Augenbrauen spielen und mit den Augen rollen. Tierkekse kannte er auswendig, und er mußte nicht extra ermuntert werden, um seine meisterliche Beherrschung sämtlicher Groucho-Gags vorzuführen. Es war eine Erleichterung, als Die Marx Brothers auf See herauskam und es etwas Neues einzustudieren gab.
Wir alle saßen damals in einem großen Raum und unterhielten uns meistens sehr lebhaft. Eine Zeitlang waren zwei auffällige Stotterer bei uns. Der eine war Robin Fedden, der dazu neigte, seine etwas zögernde Sprechweise immer dann einzusetzen, wenn er unsere Aufmerksamkeit erregen wollte, weil er etwas Interessantes zu sagen hatte. Bei Philip Taylor dagegen war es ein richtiges Leiden, das er mit aller Kraft bekämpfte. Wenn es ihn zum Stummsein verurteilt hatte, griff er nach einem Stück Papier und schrieb auf, was er sagen wollte. Er kannte einen Witz über zwei kritzelnde Stotterer, die eine erregte Debatte führen. Der eine schnappt sich das Papier des anderen, und zwar so hastig, daß die Spitze seines Bleistifts abbricht. In seiner Wut reißt der andere das Papier wieder an sich und schreibt schrei nicht so ! darauf.
Phil Taylor war ein Choleriker, und er vertrat strenge Ansichten über Homosexualität (bei Männern war er dagegen, bei Frauen dafür), aber ich habe ihn nie eine politische Meinung äußern hören. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Robin Fedden insgeheim Marxist war. Er hatte in Oxford studiert und schrieb nach seinem ersten Roman später eine interessante Untersuchung über den Selbstmord.
Unsere Textabteilung war, wenn überhaupt, dann eine literarische Brutstätte. Die meisten Texter wollten immer etwas ganz anderes schreiben. Das soll nicht heißen, daß sie auf ihre Arbeit nicht stolz waren. Einige von uns gaben richtiggehend an. In einer Agentur gab es einen Mann, der die Ansicht vertrat, seine besten Texte besäßen poetische Qualitäten und erinnerten an Kebles Christian Year . Aber er war eine Ausnahme. Bei den meisten von uns kamen die literarischen Ambitionen über das Niveau von Groschenheften nicht hinaus. Dorothy L. Sayers, die in einer Konkurrenzfirma Detektivromane schrieb, hatte anscheinend die richtige Idee gehabt. Bei uns gab es einen (Cecil Maiden), der zwei Romane veröffentlicht hatte, und mehrere Kandidaten, von denen einer (Gerald Butler) ein paar Jahre später mit dem Roman Kiss the Blood off my Hands reüssierte. Die Kurzgeschichtenschreiber, die sich in der Welt des Groschenromans einen Namen machen wollten, hatten meistens keinen Erfolg. Daß guter Schund leicht zu schreiben sei, ist schon immer eine irrige Annahme gewesen. Im Gegenteil. Man braucht dazu natürliche Talente einer ganz besonderen Art.
Ich erinnere mich noch gut an den ersten Roman, den ich in getippter Form sah. Sein Autor, der ebenfalls für die Agentur arbeitete, bewohnte mit seiner hübschen Frau eine Wohnung in Bayswater. Sie hatten mich eingeladen, mit ihnen ins Theater zu gehen und das Wochenende bei ihnen zu verbringen.
Das Typoskript hätte mir sagen müssen, daß irgend etwas faul war. Jeder Absatz endete mit einer Ellipse … anstelle eines Punktes. Das erschien mir merkwürdig maniriert, und ich fragte den Autor, warum er das so mache.
»Das ist halt mein Stil«, sagte er.
Am Sonntagmorgen brachte er mir vor dem Frühstück eine Tasse Tee ans Bett und setzte sich zu mir, als wollte er ein wenig plaudern. Doch bald fing er an, schwer zu atmen, und versuchte, nach einer Liebeserklärung, zu mir unter die Bettdecke zu kriechen.
Ich erwehrte mich seiner, gar nicht mal schroff, eher in irgendwie nervöser Panik. Seine Frau war in der Küche und machte
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