Ambra
er nicht ganz begriffen, was soeben geschehen war. Kinga legte ihre Hand auf Albinas Schulter.
Das wirst du alles reparieren können. Bis auf den Wagen, meine ich. Lass uns nach Hause gehen, Bartosz muss das ganze Zeug mit dem Auto abtransportieren.
Mit Aplomb setzte Albina den Kopf zurück auf seinen gedrungenen Rumpf und sagte, dass sie noch nicht aufgegeben habe und sich aus den Ruinen des Wagens eben ein Podest basteln würde, auf dem sie die Baben ausstellen wolle. Heute sei ein guter Tag, um Baben zu verkaufen, und überhaupt solle Kinga sie nicht entmutigen. Schlimm genug, dass das mit dem Wagen passiert sei, unter Renias zarten Händen wäre das Ding sicherlich nicht zusammengebrochen, aber sie, Kinga, habe ja wie ein Bauer daherkommen und die Baben darauf wuchten müssen, dass die Balken nur so gekracht hätten …
Im ersten Moment wusste Kinga nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie hatte sich immerhin dazu bereit erklärt, zu helfen, war mitten in der Nacht aufgestanden– als ob nichts in dieser Stadt bei Tag erledigt werden könne –, und was könne sie denn schon dafür, wenn Albina dem Schrotthändler die hinfälligste aller Schaubuden abkaufen musste? Aber sie war zu müde, um zornig zu werden. Abgesehen davon, dass sie bereits um vier Uhr aufgestanden war, hatte sie auch in den Nächten zuvor kaum ein Auge zumachen können: Der Zustand der Pfandleihe war besorgniserregend, und auch wenn Bartosz durch seine Abwesenheit Anteil daran hatte, war es doch Kinga gewesen, die durch mangelnden Geschäftssinn das Kapital zu einer bescheidenen Summe hatte zusammenschrumpfen lassen.
Mit der aufkommenden Dämmerung erreichte sie ein diffuses Gefühl von Enttäuschung und Verärgerung: Das ist der Lohn der Welt, hatte sie ihren Vater Emmerich einmal sagen hören, jetzt erinnerte sie sich daran.
Also schön, sagte Kinga. Ich gehe. Viel Erfolg weiterhin.
Drei Stunden später, der Tag hatte sich bereits über die Stadt gewälzt und seinen Lauf genommen, wünschte Kinga, sie wäre bei Albina und ihren Steinbaben geblieben. Wie einfach wäre es gewesen, sich in Geduld zu üben, einer Freundin zur Hand zu gehen, wenn diese Hilfe benötigte, und ihr so gut es ging beim Verkauf zu helfen!
Einfacher als durch die erwachende Stadt zu streunen, ein paar Schulkinder anzurempeln (einem von ihnen fiel dabei das Heidelbeerhefeteilchen aus der Hand), die morgendliche Kälte zu verfluchen, die bisher gar nicht aufgefallen war, plötzlich aber umso spürbarer unter die Jacke drang; sich an irgendeinem Stand einen heißen Tee zu kaufen, über ein paar Gläser eingemachterGurken und Paprika zu stolpern, die eine Bäuerin aus dem Umland auf dem Bürgersteig ausgebreitet hatte, und schließlich vor einem Schild zu stehen zu kommen, das ihr nie zuvor aufgefallen war.
Casino
, stand da in rotgrüngelben Buchstaben, die rhythmisch pulsierten, und außerdem:
rund um die Uhr geöffnet
.
Kinga nippte an dem Tee, der mittlerweile kalt geworden war, und fragte sich, wozu das gut sein sollte: rund um die Uhr geöffnet. Wer solche Orte frequentierte, würde das doch in den Stunden der Nacht tun, nach einem langen Tag, einem Drink oder einer Enttäuschung. Wer solche Orte frequentierte … Kinga konnte sich nicht daran erinnern, jemals in einem Casino gewesen zu sein, jedenfalls in keinem richtigen. Das Pier-Casino in dem Kaff an der englischen Südküste, wohin Emmerich sie einst zu einem Sprachkurs geschickt hatte, zählte nicht. Damals war sie viel zu vernünftig gewesen, das Geld, das ihr Vater ihr mitgegeben hatte, sinnlos zu verschwenden, alles nur wegen der Hoffnung, es könne sich auf wundersame Weise vermehren. Ihre Freundin hatte sie zwar dazu gedrängt, sie als begnadetete Kartenspielerin, die jeden Abend zu Hause mit ihrem Vater spielte; aber öffentlich, mit fremden Männern, das war zu viel.
Kinga stutzte. In hohem Bogen warf sie den Styroporbecher in ein Gestrüpp und ging zögerlich die erste Stufe hoch. Sie überprüfte die Jackentaschen und fand einen zerknitterten Hundert-Zƚoty-Schein. Einerseits das letzte Geld, das ihr für diesen Monat verblieb, andererseits kein großes Risiko, wenn man bedachte, dass man jederzeit Bronka und Brunon besuchen und sich verpflegen lassen konnte. Aber: Wollte sie wirklich alleine dort hineingehen, wo schmerbäuchige, schnurrbärtigeMänner nur darauf warteten, dass sich eine junge Frau herverirrte? Die hundert Zƚoty lagen pappig in ihrer Hand. Kaum auszudenken, was sie alles
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