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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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dass niemand verletzt war. Total am Arsch.
     

    Aber Kinga und Albina hatten Glück; der Schwall der herabprasselnden Holzstücke und Steinbrocken bahnte sich seinen Weg zwischen ihren Körpern hindurch, ohne einen von beiden auch nur mit einem Splitter zu streifen. Später würde sich Albina erleichtert darüber zeigen, dass niemand außer Kinga eingewilligt hatte, ihr bei dem Coup zu helfen.
    Wären mehr Leute dabeigewesen, wäre es womöglich doch zu Verletzungen gekommen, und dann hätte sie, Albina Krasielewska, wenigstens indirekt Schuld daran getragen.
    Renia und Bartosz hatten am Abend zuvor Mattigkeit vorgeschützt und waren zu Hause geblieben, und wen außer Kinga hätte Albina sonst schon fragen können? Sie war sogar verzweifelt genug gewesen, Tilmann Kröger auf seinem Handy anzurufen, aber die grassierende Frühjahrsgrippe hatte auch ihn infiziert, so dass er zwar ihre Nachricht abhörte, aber zu schwach war, sich zurückzumelden.
    Wäre er mitgekommen, hätte er Albinas Schaubude begutachten können, diese Konstruktion aus Holzrahmen und bedruckten Planen, von der Kinga später berichtete, sie habe ausgesehen wie eine Schaustellerbude des ausklingenden 19. Jahrhunderts: mit Efeuranken, Spiegeln, Bordüren, einem kleinen Vorhang, Spitzgiebelchen und an allen Seiten Malereien, Einhörner, Sphingen und grasgrüne Elfen. Für den ersten Verkaufstag hatte Albina zwanzig ihrer Skulpturen im Wagen und auf seinem Dach verteilt; das, so dachte sie wohl, würde den ersten Andrang befriedigen. Die Touristen, so viel stand für sie fest, würden ihr die Skulpturen aus den Händen reißen, und dann wäre sie, Albina, die Hauptverdienerin in der Wohngemeinschaft. Weder Renia noch Kinga hatten ein Herz, ihr zu sagen, dass ihr Plan fragwürdig sei, welcher Tourist würde schon ein mehrere Kilogramm schweres Souvenir ins Hotel, geschweige denn nach Hause schleppen wollen?
    Jedenfalls fühlte sich zumindest Kinga verpflichtet, Albina beim Verkauf zur Hand zu gehen, und nebenbei konnte es auch nicht schaden, wenigstens eine Person zu haben, zu der ein ungetrübtes Verhältnis bestand, eines, das weder durch Zorn noch Eifersucht beschädigt worden war. Was Bartosz und Renia anging, hatte sich Kinga zwar eine Art äußere Gelassenheit angewöhntund sprach keinen von beiden auf ihr Verhältnis an, grämte sich dafür in ihrem Innern umso mehr: Kinga Mischa, die in Liebesdingen ewig Enttäuschte, Verletzte, Übergangene.
     
    Kinga hustete, röchelte, beugte sich vornüber. Eine Staubwelle hatte sich von dem Haufen Schrott gelöst und sie umgeben. Albina sank einige Meter davon entfernt auf dem Pflaster zusammen und hielt die Arme über dem Kopf verschränkt.
    Kinga, sagte sie, ohne dass sie selber, Kinga oder sonst irgendjemand es hören konnte, Kinga, sag, dass das nicht wahr ist.
    Kinga war noch ganz damit beschäftigt, die Partikel der zerschmetterten Steinbaben, die vom Dach gestürzt waren, aus ihren Lungen herauszuhusten.
    Hatte sie nicht eine Sekunde zuvor Albina davor gewarnt, die Baben auf das Dach zu hieven? Die Bretter des Wagens waren mehr als marode, was schließlich passierte, war abzusehen gewesen … Aber Albina hatte Kingas Einwand abgelehnt, aus ästhetischen Gründen und solchen des Marketings: Wenn die ersten Passanten auftauchten, sollten sie schon von weitem Albinas Verkaufsstand bemerken, das Morgenlicht sollte auf die Baben scheinen und sie in ihrer ganzen Pracht präsentieren.
    Als Kinga wieder ihre Augen öffnete und saubere, kühle Luft in ihre Lungen strömte, war Albina bereits damit beschäftigt, die heil gebliebenen Steinbaben von der Erde aufzusammeln und um die größte Figur herumzugruppieren. Es war noch immer dunkel, und jene Bewohner der Stadt, die nicht bereits vom ohrenbetäubenden Lärm geweckt worden waren, genossen die letzten Minuten Schlaf. Noch war die Fußgängerzone leer,nicht einmal die frühsten Frühaufsteher waren zu sehen, keine Müllmänner, Bäcker, Penner, Greise oder Kioskbesitzer ließen sich blicken; von Touristen, natürlich, ebenfalls keine Spur. Noch war nichts verloren – bis auf den Wagen, der für Albina so wichtig gewesen war. Nachdem sie im ersten Moment erstarrt war, verstummt, kehrte schließlich das Leben in sie zurück, und sie stieß Kinga in die Seiten.
    Komm schon, Kinga, du musst mir helfen. Steh da nicht so rum. Um Gottes willen, auch die hier hat es erwischt.
    Albina wog einen abgetrennten Kopf in ihren Händen, der sie fragend anstarrte, als habe

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