Ambra
Vandalismus würde man ihn anzeigen und außer Landes verweisen, wenn er nicht einen bestimmten Geldbetrag aufbringe, und zwar sofort. Dann würde ihm nichts weiter geschehen. Die Stadt müsse er trotzdem verlassen. Ob ich begreife, welch schwerer Schlag das sei? Immerhin habe er doch seine Werkstatt hier und sein Atelier. Zurück nach Litauen gehe er auf keinen Fall.
Albina übrigens habe ihm absolutes Stillschweigen über die ganze Aktion versprochen, und nicht nur das: Stillschweigen über seine ganze Existenz. Auf ihre Loyalität könne er sich hundertprozentig verlassen.
Und auf deine?, fragte er. Es ist für alle am besten, wenn
das hier
niemals passiert ist. Als ob es mich niemals gegeben hätte. Kein Wort zu niemandem.
Naiv, wie ich war, fragte ich ihn noch, ob ich ihm irgendwie helfen könne. Rokas lächelte und setzte sich. Aus einem Beutel, den er bei sich trug, zog er eine kleine Schatulle. Da begriff ich, was er eigentlich wollte, und überschlug das Geld, das wir noch im Safe hatten. Viel war nicht mehr übrig, war gebunden in den Dingen, die wir angenommen hatten, und wie viel Geld Bartosz auf der Bank zurückgehalten hatte, wusste ich nicht.
Mit einem leisen Klack öffnete sich der Deckel der Schatulle, und zum Vorschein kam schwarzer Samt. Sie war leer, bis auf ein paar Staubflusen war nichts zu sehen, aber dann, ich hatte kaum den Blick wieder auf Rokas gerichtet, war da plötzlich das Bild von ihm und einem Mann, vielleicht sein Vater, wie sie in einem eng möblierten Zimmer stehen, der Vater mit Tränen in den Augen, wie er seinem Sohn etwas in die Hand drückt, eine Schatulle, und Rokas öffnet sie und schaut undscheint aber kaum zu begreifen, dann packt ihn der Mann bei der Schulter, und sie umarmen sich.
Rokas, sagte ich, wir nehmen eigentlich nichts mehr an, aus geschäftlichen Gründen, weißt du, die letzten Wochen …
Warte, unterbrach mich Rokas und strich kurz über meine Hand. Er drückte auf die Unterseite der Schatulle und löste den Boden heraus.
Und Geschäfte mit Freunden sind so eine Sache. Bartosz hat ausdrücklich gesagt, dass wir keine … Ich verstummte. Da, im Geheimfach, das kaum größer als eine Streichholzschachtel war, lag ein Rubin, beträchtlich größer als mein Daumennagel. Ich war so perplex, dass ich Rokas fragte, ob ich ihn anfassen dürfe. Nicht dass ich Expertin für Edelsteine war, aber das, so viel ließ sich doch erkennen, das war kein Glas, das war kein Kristall und nichts dergleichen; das, das war ein Kleinod.
Wo hast du das her?, fragte ich Rokas und legte den Rubin vor mir auf die Tischplatte. Ich musste Zeit gewinnen. Was sollte ich tun? Draußen ging jemand vorbei und blieb stehen. Schnell nahm Rokas den Stein an sich.
Von meinem Vater, es ist ein Erbstück. Er hat es mir gegeben, als ich in den Westen gegangen bin. Für die schwarze Stunde, sagte er. Ich glaube, die ist gerade angebrochen.
Eine Stunde später befand ich mich auf dem Weg zu Bronka und Brunon, aufgelöst und außer Atem. Vor ihrer Haustür angekommen, zog ich meine Jacke aus und wischte mit ihrem Ärmel meine Stirn ab. Oben, am Küchenfenster, war niemand zu sehen, nicht einmal Mopsik, der meistens dort auf jemanden wartete, den er ankläffen konnte. Gleich würde ich hinaufgehen, die Türwürde offenstehen, und Bronka würde mich mit ausgebreiteten Armen, an denen Teig oder Butter klebte, empfangen und mir Küsse auf die Wangen drücken. Sogar Brunon würde sich freuen, dass ich da war, in seinem Bett würde er liegen und immer wieder durch die Wohnung rufen, dass es ihm viel besser gehe, wenn das Haus voll sei. Diese Vorstellung tröstete mich. Eventuell hatte Bartosz Renia mitgenommen, und man säße vertraulich beisammen, ein Rahmen, in dem die Schilderung des Fiaskos sicher liebevoll aufgenommen werden würde … Diese Möglichkeit schloss ich sofort wieder aus. Wahrscheinlich hatte Renia Bartosz bloß begleitet und war dann nach Hause gegangen.
Die Klingel schrillte so laut, dass ich es bis nach unten hören konnte. Fast im selben Moment gab die Tür nach, und ohne den Lichtschalter zu betätigen, ging ich nach oben. In meinen Ohren hallten noch immer Rokas’ Versicherungen nach, dass er sein Kleinod ganz sicher abholen würde,
natürlich
würde er den Stein abholen, das sei familiärer Besitz und nicht einfach irgendein Schmuckstück. Ich würde also gar kein Risiko eingehen, nach ein paar Monaten, wenn er wieder genug Geld verdient hätte, würde er mich auszahlen,
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