Ambra
dort hölzerne Bauten, die sich weit über den Fluss erhöben und sogar manche der Bürgerhäuser überragten. Mit einigen raschen Bleistiftstrichen zeichnete er seinen Eltern die Umrisse der Häuser auf, die den Fluss in der Stadt säumten, und am eindrücklichsten gelang dem jungen Tischler die Skizze der Holzkonstruktion.
Der Vater wiegte den Kopf und sagte, dass er das alles nur geträumt habe, dort, im Wasser. Kazimierz wandte sich von ihm ab und antwortete, dass so oder so das Wichtigste sei, dass es dort Arbeit gebe, viel Arbeit, die gut bezahlt würde. Józef Mysza wunderte sich sehr, als er das hörte, sagte sich aber, dass sein Sohn endlich zu Verstand gekommen sei und dass es noch Hoffnung gebe in dieser Welt.
Seit jenem Tag stand Kazimierz’ Entschluss fest. Irgendwann würde er in die Stadt am Meer ziehen und der beste Tischler sein, den sie jemals gesehen hatte.
Seine Eltern ließen ihn gewähren, denn als sich der junge Mann erholte, schien er wie ausgewechselt. Tag für Tag arbeitete er mit seinem Vater in der Werkstatt und interessierte sich für nichts so sehr wie für die unterschiedlichen Holzsorten und das Fertigen von Tischen, Kleiderschränken und Türen. Wunderlich fanden sie nur, dass Kazimierz in der Tischlerei ein Loch durch seinen Bernstein fräste und ihn fortan an einem Lederband um seinen Hals trug.
Schon bald hatte er sich so sehr an den geschmeidigen, warmen Druck gewöhnt, mit dem der Stein auf seinem Brustkorb lag, dass er unruhig wurde, wenn er ihn kurz ablegte, als sei er eine Art Prothese für ein Körperteil, dessen Fehlen ihm bis dahin nicht aufgefallen war.
Die Stadt am Meer duckte sich unter dem Sturm und zog ihre Membran über sich, die schützende Hülle aus Bernstein, die sie seit jeher vor der endgültigen Auslöschung bewahrt hatte. Vielleicht, handelte es sich dabei um eine heimlicheVerbundenheit der Stadt am Meer mit dem Wald, der hier vor Jahrmillionen gestanden haben musste und dessen Hinterlassenschaften den Bewohnern der baltischen Länder seit jeher Wohlstand und Geheimnis bescherten.
Dabei ist der Mensch nur eine Randnote in dieser Welt, von der der Bernstein seit seinem Erstarren Notiz nahm: Seit kaum zweihunderttausend Jahren wandern Jäger und Sammler an den Meeresküsten, und seit erst zwölftausend Jahren bücken sie sich nach den schimmernden Brocken, die die Brandung hinterlassen hat. Seit jener Zeit scheint sich nicht viel verändert zu haben: Wer einen Bernstein trägt, der sich durch seine Größe, seine Reinheit oder seine Inkluse auszeichnet, der wähnt sich selber ausgezeichnet, der hält sich für ein Glied, das die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet.
Schlimmstenfalls vermeint der Träger, der Stein verleihe ihm magische Fähigkeiten, etwa das Lesen von Gedanken, das Entschlüsseln von Erinnerungen, und so gesehen unterscheidet sich der Mensch der Gegenwart kaum von dem der Steinzeit. Jeder Schamane, der etwas auf sich hielt, trug ein Bernsteinamulett an seinem Hals und genügend kleine Steine allzeit in seinem Beutel mit sich, um sie rituell zu verbrennen.
Natürlich hatten sie keine Vorstellung davon, worum es sich dabei eigentlich handelte: Noch Tausende von Jahren später hielt man die Steine, wenn schon für keine Hinterlassenschaft der Götter, so doch für ausgehärteten Honig, den Urin von Luchsen oder für die Reste getrockneten Erdöls.
Aber zurück zum Sturm. Er hatte Bronka rechtgegeben, die vom Beifahrersitz aus angeordnet hatte, dass keinermehr irgendwohin gebracht werde, man werde gemeinsam zu ihr nach Hause fahren und nicht eher die Wohnung verlassen, bis der Sturm sich dorthin zurückgezogen hatte, woher er gekommen war.
Kinga war zu müde gewesen, um sich über irgendetwas zu wundern, aber Bartosz konnte nicht begreifen, wie selbstverständlich seine Mutter mit ihrer Ankunft umgegangen war. Nachdem sie Cudnys Hundedecke von Kinga abgestreift hatte und diese sich mit hochrotem Kopf vorgestellt hatte, hatte Bronka bloß den Kopf geschüttelt und gesagt, dass sie schon gedacht habe, sie würde nie kommen.
Mein herzliches Beileid, hatte sie noch hinzugefügt und Kinga gegen ihren üppigen Busen gedrückt, so lange, bis Kinga die Luft weggeblieben war. Mein herzliches Beileid, ich habe schon von allem gehört. Dein armer Vater. Bartosz hatte sie fassungslos angestarrt, bis sie ihn daran erinnerte, dass sie vor dem Sturm zu Hause sein wollten; schließlich würden sie ihren Gast auch bewirten müssen, nach
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