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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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die niedrigen Räume, in denen Bernsteine unterschiedlicher Größen und Farben präsentiert wurden, schnell hinter sich lassen wollen, aber als Kinga erst einmal einen von ihnen betreten hatte und darin einenSchaukasten mit Steinen vorfand, die Einschlüsse von Insekten und anderem Getier enthielten, war sie kaum mehr ansprechbar und presste ihr Gesicht so lange gegen die Scheibe, bis die Dame von der Aufsicht kam und sie höflich bat, wenigstens eine Handbreit Abstand zu bewahren. Kinga konzentrierte sich so sehr auf eines der Exponate, dass sie die Frau kaum bemerkte. Schulterzuckend stellte sich Renia an ein geöffnetes Fenster. Stickig war die Luft hier drin, eng noch dazu, unvorstellbar, wie man sich hier freiwillig aufhalten konnte. Als Kinga sich endlich vom Schaukasten losriss und sich zu Renia ans Fenster begab, zeigte diese auf einen Überrest der alten Stadtmauer, der sich unweit des Theaters um den Stadtkern schmiegte. Siehst du diesen Hinterhof da? Und diese Eingangstür? Da arbeite ich. Ist so eine Art Varietétheater. Aber nur für Mitglieder.
    Ach was, sagte Kinga. Seid ihr so geheim, dass du mich nicht einmal dahin mitnehmen kannst?
    Demoiselle Maya ist leider sehr streng.
    Renia wandte sich vom Fenster ab. Ihr Atem streifte Kingas Gesicht. So nah stand sie vor ihr, dass Kinga die kleine Narbe auf ihrem Ohrläppchen und den unregelmäßig gezogenen Lidstrich studieren konnte.
    Weißt du, in der Show geht es nicht um Politisches. Oder um Freizügiges.
    Beinahe enttäuscht wollte Kinga schon fragen, wer denn Demoiselle Maya sei, aber da zog Renia sie schon weiter in den ehemaligen Gefangenentrakt. Hier waren die Räume zwar noch kleiner, höhlenartig, aber bis auf ein paar Pritschen und Emailleschüsseln leer. Die Wände waren übersät mit Gravuren und eingeritzten Zeichnungen; in die Fensterleibung der kleinsten Kammer hatte jemand einen Galgen geritzt, und daneben eine Jahreszahl:1529. Kinga schauderte und wollte umdrehen, aber Renia hielt sie zurück.
    Weißt du, fing sie an, das hier war das Erste, was ich mir von dieser Stadt angeschaut habe. Als ich diese Botschaften hier sah, da habe ich mich gefragt, wie es wohl wäre, Kontakt aufzunehmen. Mit den Leuten, die hier mal saßen. Also wirklich, ganz real, nicht im Gebet oder so. Natürlich wurde mir ziemlich schnell klar, dass es vor allem Scharlatane waren, die sich damit befasst haben, in der Vergangenheit.
    Und dann?, fragte Kinga. Sie war mitten im Raum stehen geblieben.
    Dann, sagte Renia, bin ich Medium geworden. Die Leute liegen mir zu Füßen.

3.

    Es war einmal eine Stadt, die war so groß und ihr Maul so weit aufgesperrt, dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit Hunderte von Menschen aus dem Umland in sich aufnehmen konnte: Manche von ihnen mit nichts als einem Bündel in den Händen und einem trockenen Stück Brot, manche mit Fuhrwerken voller Kleidertruhen, Säcken voller Getreide, Käfigen mit Hühnern, Ferkeln und Hunden und Dutzenden von zusammengeschnürten Tabakblättern.
    Ganze Familien saßen auf den Ladeflächen, hielten sich an den Getreidesäcken fest und trauten sich kaum zu blinzeln, so viele Menschen und Tiere waren auf der Straße zu sehen, die in die Stadt hineinführte. Viele verließen die Stadt wieder, mit nichts als einem Bündel in den Händen oder gar nichts, andere hingegen wurden nie wiedergesehen, und kurz bevor man sie vergaß, sagten die Leute: Die Stadt hat sie verschluckt, runtergewürgt hat sie sie, und nu is wieder Ruhe.
    Wenn die Polizei jemanden für vermisst erklärte, zuckten sie die Schultern. Opfer hatte es zu allen Zeiten gegeben, das hatten die Alten erzählt, damals, in den Dörfern, und anscheinend galt das auch für die Stadt.
    Die meisten aber kamen in die Stadt und blieben. Auch wenn die Stadt ihnen Angst machte, auch wenn es so wenig Raum gab, dass man meinte, ersticken zu müssen,auch, wenn es in derselben Gegend, in der man sich niederlassen wollte, bereits eine Handvoll anderer Tischler gab, man blieb und schaute hoch zum Himmel, der vom selben Blau war wie der über dem Wald, weit draußen.
     
    Irgendwo am Rande der Stadt stand Kazimierz Mysza und schaute hinauf zu den bauschigen, kompakten Wolken, die hoch über ihm trieben. Ein kühler Wind wehte in den Hof und fuhr in sein Haar. Vor genau einem Jahr war er in diese Stadt gekommen, und es erfüllte ihn mit Stolz, die erste Zeit, entgegen der Prophezeiung seines Vaters, gemeistert zu haben. Kaum hatte man den Körper seines Vaters

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