Ambra
auf den Unterarm. Niemand dürfe von seinem Plan erfahren, es gehe gerade um den Überraschungseffekt, den ersten Schock des Betrachters. Da es sich um eine Aktion von einer gewissen Größenordnung handle – er lachte –, er aber auf äußerste Diskretion angewiesen sei, brauche er unkomplizierte, verlässliche Helfer. Geld sei kein Problem. Sein
Sponsor
sei überaus großzügig. Als ich fragte, wer dieser mysteriöse Mäzen sei, schüttelte Rokas den Kopf. Sein Geldgeber sei jemand, der der Stadt sehr nahestehe, äußerst nahe sogar – und eben deshalb sei es umso wichtiger, seinem Wunsch nach Diskretion zu entsprechen. Ob er sich auf uns verlassen könne?
Er konnte. Ohne hundertprozentig zu wissen, worauf wir uns einließen, hatten Albina und ich Rokas versprochen, ihm einige Stunden pro Woche auszuhelfen. DasZubrot, das ich mir damit verdienen würde, kam gerade recht.
Am nächsten Morgen – Rokas hatte auf einer Gästematratze, die Albina unter ihrem Bett gefunden hatte, in der Küche geschlafen – brachen wir gemeinsam auf, um uns seine Werkstatt und Materialien anzusehen. Ich hatte versucht, Renia zu überreden, zu Hause zu bleiben, ohne Erfolg. Sie wolle es sich wenigstens einmal anschauen, sagte sie. Und sie sei bislang nur ein einziges Mal auf der Werft gewesen.
Obwohl es bereits spät am Vormittag war, hielt sich noch ein Rest von Dunkelheit zwischen den Häuserzeilen. An den Ecken standen Grüppchen von Schülern, die sich die Mützen tief in die Gesichter gezogen hatten, keiner sprach lauter oder bewegte sich mehr, als unbedingt nötig. Es war kalt, und die Einzigen, denen es nichts auszumachen schien, waren die Katzen, die durch die Straßen huschten und irritiert maunzten, wenn wir ihre Wege kreuzten.
Bald schon ragten über uns die Kräne der Werft in den Himmel. Wir ließen den Haupteingang und das mit Kränzen und Kerzen geschmückte Arbeiterdenkmal hinter uns und passierten das Tor. Rokas nickte im Vorbeigehen dem Wächter zu, der weiter seinen Blick geradeaus gerichtet hielt und uns, als wir an ihm vorbeigingen, nicht einmal zu bemerken schien.
Verrückt, kommentierte Renia. Ich zuckte mit den Schultern.
Auf dem Gelände angekommen, waren wir umgeben von Leuten mit Rucksäcken und Beuteln, die zur Arbeit gingen. Ihr Atem blieb als helle Rauchflecken in der Luft zurück. Während des gesamten Weges zu seiner Werkstattschwieg Rokas. Er strahlte eine Gelassenheit aus, die beruhigend auf seine gesamte Umgebung wirkte, außerdem lächelte er ständig, als habe er alles von Grund auf durchschaut und als habe es ihn gerührt.
Renia und ich folgten ihm, vorbei an rostenden Autowracks, Lagerräumen mit zerbrochenen Fenstern und Schiffsteilen, die noch unverschweißt übereinandergestapelt lagen, vorbei an Hallen, in denen man das helle Feuer der Schweißer glimmen sah. Nur Albina war kurz vorm Zerplatzen, weil Rokas jede ihrer Fragen unbeantwortet ließ: Ob er das wirklich ernst gemeint habe, was er vorhin erzählt hatte, wie er sich das vorstelle, woher er die Materialien nehmen wolle und so weiter.
Rokas strich über seinen Schnurrbart, bewegte seinen Kopf hin und her, lächelte und wollte nichts verraten. Vor einer mit Graffiti besprühten Lagerhalle blieb er stehen und holte einen Schlüsselbund hervor. Der Eingang der Halle war halb verdeckt von einem rostigen Schiffsrumpf, dahinter stritten sich ein paar Katzen um den Kadaver einer Ratte. Als Rokas die Metalltür aufgestoßen hatte, ging er einen Schritt zur Seite. Da, hinter der Tür, klaffte ein schwarzes Loch.
Du zuerst, sagte Rokas, verbeugte sich schwungvoll und ließ mir den Vortritt. Schönen Dank, murmelte ich. Hinter mir hörte ich Renias und Albinas Schritte. Ich sah noch immer nichts, spürte nur den rutschigen Betonboden unter meinen Füßen, und genau in dem Moment, als ich mich umdrehte, ging das Licht an. Ich sah mitten in Renias erschrockenes Gesicht und
da setzte ich mich in den nächsten Zug gen Osten und kam nach Stunden in der Stadt am Meer an, ohne
einen Plan, ohne jemanden zu kennen, Hauptsache, nicht zurück nach Dydów, Hauptsache, nicht zurück aufs Land zu Vater und Marek. Gleich am Bahnhof wäre mir beinahe das Herz stehengeblieben, ein fetter Typ stand da neben einem Kiosk und gaffte mich an, und im ersten Moment dachte ich, das ist der Goerke, der Goerke ist mir gefolgt, aber natürlich war es nicht der Goerke, es war einfach irgendein fetter Pole, der sich nach der Arbeit am Kiosk besoff, und da
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