Ameisenroman
offenen Tür vorbeiging, denn davon gab es in seinem Leben nur wenige, und auch die waren in der Regel ganz schnell wieder verschlossen.
«Also, das wäre wunderbar, Mr. Semmes. Und ich weiß, dass Marcia auch begeistert sein wird.»
Die Hochzeit fand zwei Monate später in der St. Paul’s Episcopal Church statt. Marcia trug ein knöchellanges weißes Kleid, das der Familienschneider für sie entworfen hatte, Thompson’s aus der Dauphin Street. Ainesley sah elegant aus in seinem geliehenen Smoking und den glänzenden Lacklederschuhen. Jonathan führte seine Tochter in die Kirche, und der ältere von Ainesleys beiden Brüdern war Trauzeuge. Fünf von Marcias besten Freundinnen, zwei aus der Nachbarschaft und drei vom Spring Hill College, waren ihre Brautjungfern. Erstaunlich viele von Ainesleys Vettern, Freunden und deren Familien, insgesamt über dreißig Personen, waren dabei. Und sogar noch mehr Freunde der Familien Semmes und Baldwin gaben sich die Ehre, dazu Nachbarn und Bekannte.
Die Angehörigen beider Seiten schüttelten dem jungen Paar die Hände und beglückwünschten es. Elizabeth Semmes stand unter leichtem Schock, der durch ein Glas zu viel von dem beruhigenden Bourbon beim Frühstück noch verstärkt wurde. Dennoch lächelte sie und nahm die Glückwünsche entgegen. Getreu ihrer Erziehung ließ sie sich nichts anmerken und harrte ohne Pause bei der Feier aus. Ihre einzigen Tränen weinte sie während des Gottesdienstes, still für sich in ein Spitzentaschentuch, was ja gesellschaftlich durchaus akzeptabel war.
9
A ls das Paar von der Hochzeitsreise heimkehrte, bezog es direkt den neuen Bungalow in Clayville. Zwei Damen von der Semmes Gulf Associates hatten ihn umsichtig mit einer neuen Küche und einer Grundausstattung an Möbeln eingerichtet, den Großteil aber Marcias eigenem Geschmack überlassen. Kühlschrank und Küchenschränke in dem kleinen Haus waren mit Vorräten gefüllt. Einfache Kochgeräte, Geschirr und Besteck waren vorerst im Haus, man erwartete aber, dass Marcia sie demnächst ersetzen würde. Ein helles Blumengesteck stand auf dem Küchentisch. Auf einem Regal über der Spüle befand sich ein funktionierendes Telefon, das auf den Namen «Cody, Ainesley» angemeldet war.
Als sie zur Hochzeitsreise nach Sanibel Island aufbrachen, hatte Elizabeth Marcia ganz beiläufig eine kleine lederne Handtasche überreicht, auf der ihr Name eingeprägt war. Darin steckte diskret ein Scheckbuch mit einem Guthaben von 42.000 Dollar.
Jonathan seinerseits hatte Ainesley einen Umschlag aus dickem weißem Büttenpapier überreicht, auf dem in goldenen Buchstaben Jonathans Name und Marybelle als Absenderadresse prangten.
«Das ist ein persönliches Geschenk der Familie an dich», sagte er. Innen steckte ein handgeschriebener Brief in gestochener Palmer-Schrift.
Lieber Ainesley,
willkommen in unserer Familie. Wir haben eine ganze Weile überlegt, welches Hochzeitsgeschenk für dich persönlich am passendsten wäre, und haben schließlich entschieden, am besten wäre wohl etwas, was dir in deiner neuen Stellung und im Familienleben von Nutzen ist. (Das haben wir heimlich mit Marcia besprochen!) Wenn du also einen neuen Pickup aussuchen möchtest, der dir am geeignetsten erscheint, so würden Elizabeth und ich uns sehr freuen, ihn für dich anzuschaffen.
Herzliche Grüße,
Jonathan Semmes
Am Montag nach ihrer Rückkehr von der Hochzeitsreise machte sich Marcia fröhlich daran, sich selbst Aufgabenlisten zu schreiben und Freundinnen anzurufen. Ainesley brach auf zu seiner neuen Stellung im Clayville Eisenwaren- und Autoteilegeschäft. Pünktlich um acht Uhr morgens war er vor Ort, trat ein und tauschte einen herzlichen Handschlag mit Jesse Nichols. Sie setzten sich und plauderten ein Weilchen. Dann führte Nichols Ainesley einmal durch das Betriebsgebäude und das gut bestückte Lager. Etwa alle fünf Minuten wurden sie von Kunden unterbrochen. Ainesley, dem die meisten Produkte bereits gut vertraut waren, half aufgeräumt beim Verkauf mit.
Ihm fiel auf, dass es offenbar außer ihm keine Angestellten gab. Doch kurz vor Mittag kam eine korpulente Frau um die fünfzig und wurde Ainesley als Dolores vorgestellt. Sie trat an die Kaffeemaschine, nahm sich eine Tasse ohne Milch und Zucker und ließ sich an der Kasse nieder. Inzwischen hatte Ainesley festgestellt, dass der Laden keine große Sache war. Egal, dachte er, Hauptsacheein Lebensunterhalt. In ein oder zwei Jahren bin ich der Chef, und dann
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