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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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dass auch ihm das blühen konnte. Raff hoffte nur, dass Ainesley und Marcia wenigstens zusammenblieben, selbst wenn sie viel stritten, einfach nur, um ihm selbst eine Katastrophe zu ersparen.
    Es ist ganz natürlich, so verstehe ich es im Rückblick, dass ein Kind, das zu Hause unter ständigem Stress steht, nach anderen Auswegen sucht: irgendwelche erdachten Orte als Zuflucht und Überlebensraum, Traumwelten an entlegenen Plätzen – Baumwipfel mit Tarzan und Jane, eine Zauberwelt im Mittelpunkt der Erde, ein getarnter Unterschlupf irgendwo an einem sprudelnden Fluss in einem Zauberwald. In einem bestimmten Alter, gewöhnlich zwischen acht und zwölf, bauen viele Kinder ihre Träume materiell nach und errichten Baumhäuser, Hütten und Indianerzelte aus abgeschnittenen Jungbäumen und Seilen.
    Von den diversen Sonntagsausflügen mit seinen Eltern über die gewundenen Nebenstraßen rund um Clayville hatte Raff schon viele flüchtige Eindrücke von den Auwäldern an den Bächen und Flüssen in dieser Küstenregion mitgenommen. So tief er konnte, spähte er in das urwaldähnliche Dickicht hinein. Das hier waren der Amazonas und der Kongo aus seinen Büchern in Miniaturausgabe. Er stellte sich vor, wie er allein auf einem der klaren, sanften Ströme weit weg in die Fremde fuhr, wo völlige Wildnis herrschte und noch nie jemand einenFuß hingesetzt hatte, und dass er dort eine Weile leben könnte.
    Mit der Zeit erkannte Raff, dass er solch ein Refugium bereits besaß. Nur zehn Fahrminuten vom Haus der Codys entfernt lag am Ende einer Nebenstraße nördlich der Alabama 128 der Lake Nokobee. An das Südufer des Sees kamen häufig Städter und Angler in ihrer Freizeit. Raffs Eltern nahmen ihn dorthin zum Sonntagspicknick mit, seit er ein Baby war. Am westlichen Seeufer lag ein Streifen nahezu unberührten Laubbuschwaldes. Von diesen Uferwäldern aus weiter landeinwärts er streckte sich das breite Gebiet einer Sumpfkiefersavanne mit stellenweise dichtem Laubholzgestrüpp. Die meisten Einwohner in einem Umkreis von fünfzig Kilometern wussten von diesem Landstück des Nokobee Tracts, aber sie dachten, es wäre Privatbesitz und eingezäunt. Ohnehin war es in ihren Augen wenig mehr als ein untaugliches Stück Kiefernwald mit undurchdringlichem Dickicht, das voller Ungeziefer und Schlangen steckte. Sie hielten es für ein Gebiet, in dem Insekten, Giftschlangen und stachelige Büsche, die einem die Kleider zerrissen, die Vorherrschaft hatten. Hinter dem Nokobee Tract lag der deutlich größere William Ziebach National Forest. Da er noch entlegener und nur über eine einzige Forststraße von Nordwesten her zu erreichen war, kamen dorthin sogar noch weniger Besucher als an den Nokobee.
    Diese Gegend war alles, was Raphael Semmes Cody brauchte, um seine Träume wahr werden zu lassen. Mit zwölf Jahren fing er an, den Nokobee Tract auf eigene Faust zu erforschen. Er zog los, sobald er einen halben Tag freihatte. Seinen Eltern sagte er nichts, und sie dachten,er ginge mit Freunden ins Stadtzentrum von Clayville oder auf den Sportplatz seiner Highschool.
    Raphael Semmes betrat die Welt des Nokobee als Kind, verspielt und fröhlich, und ganz ohne Angst. Es gab keinen Erwachsenen, der ihn hätte bremsen können. Die haushohen Sumpfkiefern und die wilde einheimische Flora darunter wurden ihm genauso vertraut wie die Sträucher und Gärten von Clayville. Ein oder zwei Schlangen gab es da immer, die man fangen, sorgfältig untersuchen und wieder freilassen konnte. Raff fand Insekten, Spinnen und andere Gliederfüßer in unendlicher Vielfalt und sperrte viele davon für eine vorübergehende Gefangenschaft in Marmeladengläser. Im Frühling und Sommer fanden sich immer Vogelnester, manche davon hingen so niedrig, dass sich die Eier und Jungvögel beobachten ließen. Habichte und andere große Vögel konnte man zuverlässig in großer Höhe sichten und dabei zuschauen, wie sie unbekannten Zielen entgegenschwebten. Ein halbes Dutzend Reiherarten spießten im flachen Seewasser Frösche und Fische auf. Klapperschlangen, Wassermokassinottern und Schwarze Witwen sorgten für Aufregung, man musste ihnen aber aus dem Weg gehen – allerhöchstens durfte man mit einem langen Stock nach ihnen stochern.
    Raff traute sich nicht, Ainesley und Marcia von seinen Abenteuern zu erzählen, denn wenn er das tat, würden sie erfahren, dass er sie bisher angelogen hatte, und ihn ausschimpfen. Mir aber, seinem Nennonkel, konnte er vertrauen. Schließlich taten

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