Ameisenroman
reinigt, teilt sie mit euren Schwestern!
Die Substanzen, die das Gefolge befehligten, wurden im Kropf vor dem Verdauungstrakt jeder Ameise eingelagert. Dort vermengten sie sich mit der flüssigen Nahrung. Mit ihren umherschweifenden Fühlern, denen beim Menschen die Nase entsprach, berührten die Ameisen einander ständig am Kopf. Eine gut gesättigte Ameise, in deren Darm noch viel Nahrung vorhanden war, teilte einer weniger gut gesättigten Nestgefährtin mit:
Riech hier, undwenn du hungrig bist, iss!
Wenn die Ameise näher kam und wirklich hungrig war, reckte sie ihre Zunge hervor, und die Spenderameise belohnte sie, indem sie etwas Flüssigkeit hervorwürgte und direkt in ihren Mund abgab.
Der Austausch zwischen den Schwestern nahm auf diese Weise seinen Fortgang. Die kombinierte Intelligenz der Kolonie hörte auf den ständigen «Wortwechsel» zwischen all ihren Mitgliedern. Die Pheromonsprache nutzten sie für alle Botschaften, die sie ihrer Veranlagung gemäß aussenden und empfangen konnten. Informationen tauschte die Kolonie unter ihren Mitgliedern auf dieselbe Weise aus wie der Körper einer einzigen Ameise, eines Menschen oder jedes anderen einfachen Organismus, nämlich über Hormone. Die Pheromone des Superorganismus rieten, baten und befahlen.
Außerhalb des Nests, nicht weit vom Trailhead-Hügel entfernt, flog eines Tages eine Walddrossel vorbei, die gerade einen Grashüpfer in ihr eigenes Nest schaffen wollte. Ein Teil des zerborstenen Tieres brach ab und fiel zu Boden. Nach weniger als einer Minute hatte eine patrouillierende Arbeiterin es gefunden, und dies löste eine ganze Aktionskette aus, wie die Trailhead-Ameisen sie schon unzählige Male durchexerziert hatten. Die Arbeiterin untersuchte den Grashüpfer, kostete kurz davon und lief zurück zum Nesteingang. Unterwegs berührte sie mit der Unterseite ihres Hinterleibs den Boden und legte damit eine dünne chemische Duftspur. Nach dem Eintritt in das Nest stürzte sie auf jede ihr begegnende Nestgefährtin und rieb mit ihrem eigenen an deren Gesicht. Die geruchsempfindlichen Fühler der Nestgefährtinnen nahmen sowohl die Substanz der Spur als auch den Geruch des Grashüpfers wahr. Und nun wurden dieSignale weiterverbreitet:
Futter, Futter. Ich habe Futter gefunden, folgt meiner Spur!
Unverzüglich lief ein Trupp Ameisen nach draußen. Sie folgten der Spur und versammelten sich rund um den köstlichen Grashüpferschenkel. Von den ersten Ankömmlingen rannten einige zurück zum Nest und legten ihre eigene Spur, um die Botschaft zu verstärken:
Kommt, kommt, wir brauchen Hilfe!
Die Ameisen, die an dem Grashüpferstück arbeiteten, begannen es Richtung Nesteingang zu schleppen. Da bemerkte eine Katzendrossel, die auf einem nahen Baumzweig hockte, die Geschäftigkeit am Boden und kam herabgeschwebt, um zu sehen, was los war. Sie pickte nach dem Grashüpfer, jagte dabei die Ameisen auseinander und verletzte mehrere von ihnen. Die Ameisen schütteten ein Pheromon aus einer Drüse aus, die an ihrer Kieferbasis saß, versprühten also einen chemischen Dunst. Und der rief:
Gefahr! Ein Notfall! Lauft! Lauft! Nur weg hier!
So wurde die Aktivität der Trailhead-Kolonie durch ein Vokabular des Geruchs und Geschmacks bestimmt. Es wurden Pheromone freigesetzt, gelegentlich verstärkt durch Tastbewegungen. Botschaften wurden verfasst, manchmal über eine ganz bestimmte einfache chemische Substanz, manchmal über dieselbe Substanz in verschiedenen Konzentrationen, gelegentlich durch zwei oder drei kombinierte Substanzen. Die Bedeutung veränderte sich je nach dem Ort, an dem die Substanzen freigesetzt wurden. Das Vokabular wuchs an. Verschiedene Botschaften wurden in Umlauf gebracht.
Hier, lass mich dich lecken und reinigen.
Geh zur Arbeit, tu, was die anderen hier auch tun!
Dies ist meine Kaste, und dies mein Entwicklungsstadium.
Lass uns territoriale Pheromone ablagern, um den Rivalen zu bedeuten, dass wir dieses Land beherrschen.
Wir haben nicht genug Soldatinnen; zieht in der Brutkammer mehr Soldatinnen auf.
Wir haben zu viele Soldatinnen; zieht weniger auf.
Wer führt gerade den Kampf um die Nachfolge unserer Königin an?
Die Mitglieder der Trailhead-Kolonie lebten in jeder Sekunde ihres Lebens nach den Anweisungen in den Wolken und Strömen von Pheromonen ihres Umfelds. Manche Signale, etwa die Alarmpheromone, verbreiteten sich und verebbten schnell, sie zogen die Aufmerksamkeit vieler Nestgefährtinnen auf sich, wo es nötig war, hielten aber
Weitere Kostenlose Bücher