Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
Vom Netzwerk:
noch die Bedrohung durch Bakterien und Pilze, von denen es in der Erde rund um sie nur so wimmelte. Wurden die Eier nicht regelmäßig gereinigt und mit keimabweisendem Speichel umhüllt, würden sie ganz schnell von eindringendem Schimmel überwachsen und aufgezehrt werden. Und schon eine einzige Bakterie in der von der Königin ausgehöhlten Erde konnte sich auf jedem winzigen ungeschützten Stück Ameisengewebe millionenfach vermehren.
    Rund um die Trailhead-Königin gruben noch weitere junge Königinnen vor sich hin. Alle scheiterten: eine nach der anderen wurde von Räubern getötet. Keine Schwester arbeitete an der Seite der Trailhead-Königin, keine Arbeiterin war geboren, die ihr zur Hand gehen konnte. Außerhalb der schwesterlichen Welt in der Mutterkolonie, der sie entstammte, war und blieb die Natur in jeder einzelnen Minute des Tages das Schlachtfeld für einengnadenlosen, alles umfassenden Krieg. Eindringlinge zerrten die Überlebenden aus ihrem kleinen Nest und fraßen sie auf. Auch im Nest selbst warteten weitere Gefahren: Womöglich waren die Eier nicht richtig befruchtet, oder das Spermium trug einen genetischen Fehler.
    Doch der künftigen Königin der Trailhead-Kolonie war das Glück erneut hold. Als aus ihren Eiern winzige Larven schlüpften, fütterte sie sie mit einer äußerst nährstoffreichen Nahrung, die über eine große Drüse, von der ihr Kopf teils ausgefüllt war, sekretiert und durch ihren Mund ausgeschieden wurde. Diese Babynahrung wurde aus Fettmassen gebildet, die im hintersten Körpersegment der Königin gespeichert waren. Zu ihrer Bildung trug auch der Stoffwechsel ihrer jetzt nutzlos gewordenen Flügelmuskeln bei.
    Aus den Reserven ihres eigenen Körpers zog die junge Königin ein Dutzend Arbeiterinnen auf. Es waren nur Weibchen. Sie waren winzig und schwach, konnten kaum die nötige Arbeit verrichten, die die kleine Kolonie zum Überleben brauchte. Aber sie mussten so winzig zur Welt kommen. Wäre jede von ihnen größer, so hätten weniger von ihnen aufgezogen werden können. Und dann wären sie weniger Individuen gewesen als nötig, um die Arbeit zu verrichten, die für das Überleben des neu gegründeten Staates anfiel.
    Einige dieser Pionierinnen, die vollständig vom Instinkt geleitet wurden – Vorbilder gab es nicht –, machten sich auf Futtersuche. Andere kümmerten sich um die Königin und zogen die nächste Generation Arbeiterinnen auf. Weitere verbrachten ihre Zeit damit, das Nest zu vergrößern. Wurden alle diese Aufgaben nicht exakt erledigt, würde das den Tod der Kolonie bedeuten. Diejunge Königin konnte nicht mehr helfen. Im Gegenteil, sie brauchte jetzt unbedingt selbst Hilfe, um weiterleben zu können. Ihr dehnbares Körpergewebe war leer. Es war fast vollständig an die Tochterlarven verfüttert worden, und jetzt drohte sie zu verhungern. Ihr Körper war nichts als eine Chitinhülle, die lediglich die Gewebe enthielt, die für ihr eigenes Leben unabdingbar waren.
    Die ersten Arbeiterinnen, die sich vorsichtig auf Futtersuche außerhalb des Nests machten, konnten ein paar Brocken Nahrung heimbringen. Darunter waren eine abgestürzte Mücke, ein Stück von einer abgeworfenen Käferhaut und eine frisch geschlüpfte Jungspinne – genug also, um die Kolonie am Leben zu erhalten und der Königin ein wenig von ihrem Gewicht und ihrer Kraft zurückzugeben.
    Die Arbeiterinnen der nächsten Generation, die mit außerhalb des Nests gesammelter Nahrung aufgezogen wurden, waren etwas größer als die erste Generation, und auch kräftiger. Sie begannen noch weitere Tunnels zu graben, um die wachsende Population unterzubringen. Mit zunehmender Größe der Kolonie und ihrer Bevölkerung nahm die noch immer gefährdete Wohnung die Form eines Labyrinths aus Kammern und Verbindungsgängen an. Sie wurde allmählich zu einer angriffssicheren Festung. Über ihr begann sich ein Hügel aus ausgegrabener Erde zu bilden, der das Dach verstärkte und die Sonnenwärme einfing.
    Im Lauf der Monate zog sich die Königin, die mit ihren eiergefüllten Ovarien immer schwerer wurde, zunehmend in die Tiefe zurück und ging damit auf Abstand zu dem noch immer gefährlichen Nestäußeren. Sie hatte sich jetzt extrem spezialisiert. Sie allein legte Eier, sie alleingenerierte das Wachstum der sprießenden Kolonie. Die Arbeiterinnen erledigten alle Aufgaben, die bei der Aufzucht des Nachwuchses, also ihrer eigenen Schwestern, anfielen. Sie waren Hände, Füße und Kiefer der Königin, und

Weitere Kostenlose Bücher