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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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ganz einfach: Je größer die Kolonie, je stärker ihr Nettowachstum, desto mehr jungfräuliche Königinnen und Männchen kann sie für die nächste Generation von Kolonien liefern. Die Gene, die stabiles Koloniewachstum vorgeben, sind im gesamten Lebensraum und bei der gesamten Spezies vorhanden; Gene, die stabiles Wachstum nicht fördern, werden von den expandierenden Darwin’schen Siegern verdrängt und verschwinden.
    Die Myrmidonen vom Trailhead wussten instinktiv, dass sie in Gefahr waren. Mit der Zeit waren die chemischen Signale in den Außenbereichen des Nests auf ein kaum wahrnehmbares Niveau gesunken. Die Arbeiterinnen begriffen allmählich, dass ihre Königin nicht mehr kompetent war.
    Dennoch ließ sich die Instinktmaschine nicht ausschalten.Die Pheromon-Botschaften dauerten an. Sie gingen von Ameise zu Ameise, verbreiteten die neuesten Nachrichten, den Klatsch, das Gedeihen des Allgemeinwohls. Die Arbeiterkasten erbrachten ihre Leistung wie bisher, noch immer machten sich die Zuständigen frühmorgens auf Futtersuche ins umliegende Gelände. Doch auf kaum merkliche Weise hatten die Trailhead-Arbeiter begonnen, sich zu verändern. Die Antriebskraft der Kolonie ließ nach, wurde in winzigen Schritten gedrosselt.
    Schon in den Wochen vor ihrem Tod war es mit der Gesundheit der Königin bergab gegangen. Hinweise darauf waren allgegenwärtig. Ihre Eiproduktion war abgestürzt und schließlich ganz versiegt. Es gab immer weniger Larven, die gefüttert werden mussten. Immer mehr Ammen saßen tatenlos herum, das Wachstum der Kolonie stagnierte. Immer weniger Arbeiterinnen machten sich draußen auf Futtersuche.
    Und doch bestand für die Kolonie noch Hoffnung. Schon als die Königin noch lebte, hatte die Ausdünnung ihrer Pheromone in den Körpern junger Soldatinnen im Nest Veränderungen ausgelöst. Diese größten Vertreterinnen der Arbeiterkaste hatten massive Köpfe voller kräftiger Muskeln, die ihre scharfzähnigen Kiefer zuschnappen ließen wie gezähnte Drahtscheren. Sie waren der Stahl, die physische Macht, die institutionalisierte Aggressivität der Kolonie. Normalerweise verteidigten sie nur das Nest gegen Eindringlinge. Gelegentlich zogen sie auch mit den gewöhnlichen Arbeiterinnen entlang den Duftspuren aus, um bedeutende Futterquellen gegen rivalisierende Kolonien zu verteidigen. Doch sie waren auch in der Lage, sich zu vermehren. Ihr mächtiges Abdomen enthielt ein halbes Dutzend Ovarien, die nach weiterem Heranwachsenlebensfähige Eier produzieren konnten. Diese männlich wirkenden Amazonen konnten sich vom Krieger zur Mutter wandeln.
    Mit dem Verfliegen der königlichen Pheromone wussten die Soldatinnen Bescheid. Die Sinneszellen in den Außensegmenten ihrer Fühler nahmen die Veränderung wahr. Die Information wurde über Nervenzellen an das Gehirn der Soldatinnen weitergeleitet. Reaktionsketten im Hirn übermittelten den Hormondrüsen anderswo in ihrem Kopf Instruktionen. Die Hormone, die von diesen Drüsen freigesetzt wurden, stimulierten das Wachstum in den Ovarien der jungen Soldatinnen. Dort entstanden nun reihenweise Eier. Zunächst waren es nur mikroskopisch kleine Massen an den Enden der Ovarien. Die Eier wuchsen heran, während sie abwärts in Richtung der Öffnungen der Ovarien wanderten; ihre maximale Größe erreichten sie erst, kurz bevor sie gelegt wurden.
    Die Soldatinnen, die potenziell die neuen Königinnen der Trailhead-Kolonie darstellten und nicht mehr durch die Pheromone der Königin-Mutter gehemmt wurden, ließen von ihren bisherigen Pflichten ab. Während ihre Ovarien von Eiern anschwollen, drangen sie tiefer ins Nest ein und näherten sich den schwindenden Haufen von Larven und Puppen. Während die letzten Brocken vom Körper der alten Königin zum Friedhof verbracht wurden, begannen mehrere ihrer rivalisierenden Nachfolgerinnen mit der Eiablage. Sie waren jetzt Soldaten-Königinnen und die einzige Hoffnung der Kolonie, ihr Wachstum wieder in Gang zu bringen.
    Die normalen Arbeiterinnen in ihrem Umfeld akzeptierten den neuen Status der Soldaten-Königinnen. Diese Toleranz bedeutete im Verhalten der Kolonie als Ganzeseine bemerkenswerte Kehrtwende. Wäre die Königin noch am Leben und bei guter Gesundheit, hätte sie weiterhin ihren besonderen Duft ausgestrahlt, so wäre die Reaktion auf jeden erdenklichen Usurpator kurz und brutal ausgefallen. Bisher hatte die Trailhead-Kolonie einer Grundregel des Ameisendaseins gehorcht: Fortpflanzung in Gegenwart einer gesunden

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