Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
die üblichen Röcke, sondern trug lieber eine Hemdbluse mit langen Ärmeln und einem weichen Kragen und dazu eine weichfallende Pumphose, die bis zu den Knien reichte, und darunter hochschäftige Stiefel. Die Uniform, wie ich meine Arbeitskleidung nannte, wurde durch einen breiten Ledergürtel vervollständigt, an dem ich verschiedene Werkzeuge, Jagdmesser, Pistole, Maßband, Streichhölzer, kleine Kerzen, Papier, Bleistift, Schneiderkreide, Wasserflasche und einen Kompaß befestigt hatte. Emerson nannte mich immer wieder einen Kettensträfling, wenn ich rasselnd durch die Gegend lief, und er haßte es, wenn sich ihm die Werkzeuge in die Rippen bohrten, sobald er mich in den Arm nahm. Ich jedoch war von der Notwendigkeit jedes einzelnen Gegenstandes überzeugt. Wie recht ich damit hatte, wird der kluge Leser bald erfahren.
Abdullah war mir gefolgt. Er machte ein trauriges Gesicht, weil er wußte, daß ich nicht zufrieden war. In der Entfernung von etwa einer Meile konnte man den Rand des Fruchtlandes einige Palmen und die Dächer eines Dorfes ausmachen, aber zu unseren Füßen erblickte ich Mauerreste, die mich weit mehr interessierten.
»Was ist das dort unten, Abdullah?« fragte ich.
»Es ist ein Gebäude, Sitt«, antwortete er verwundert, als ob er die Mauern zum erstenmal sähe.
»Ist es bewohnt?«
»Ich glaube nicht, Sitt.«
»Wem gehört es, Abdullah?«
Abdullah antwortete mit dem typisch arabischen Schulterzucken, doch als ich Anstalten machte, hinunterzusteigen, sagte er rasch: »Das ist kein guter Platz, Sitt.«
»Es gibt Wände und sogar noch Teile eines Dachs! Für mich ist es gut genug.«
»Aber …«
»Abdullah! Reden Sie nicht um den Brei herum! Sagen Sie mir lieber, was es mit diesem Gebäude auf sich hat.«
»Dort wohnen böse Geister«, antwortete Abdullah.
»Aha! Nun, darüber brauchen Sie sich keine Sorgen machen. Emerson wird sie vertreiben.«
Ich rief den anderen zu, mir zu folgen. Je näher wir dem Gebäude kamen, desto zufriedener wurde ich, aber auch ein wenig verwirrt, denn die Anlage war für ein normales Haus viel zu groß. Rundum erstreckte sich die kahle Wüstenfläche ohne Baum oder Strauch.
Die Mauern waren aus verschiedenen Materialien errichtet worden. Einige bestanden aus Lehmziegeln, aber andere aus Steinblöcken, die so groß wie Koffer waren. »Die haben sie von den Pyramiden gestohlen«, grummelte Emerson, während er durch eine Maueröffnung kroch. Es ist wohl unnötig zu betonen, daß ich ihm auf dem Fuße folgte.
Wir standen in dem früheren Hof, der an drei Seiten von Gebäuden umgeben gewesen war und an der vierten eine dicke Mauer aufgewiesen hatte, die jedoch im Lauf der Zeit, ebenso wie die Gebäude der Südseite, eingestürzt war. Von den übrigen Gebäuden stand noch erstaunlich viel, auch wenn den meisten Räumen ein Dach fehlte. An einer Stelle lief sogar ein Vordach entlang, das von einigen Pfeilern gestützt wurde.
Emerson schnippte mit den Fingern. »Ich hab’s. Das war einmal ein Kloster, Peabody! Hier waren die Zellen der Mönche, und die Ruine dort drüben war die Kirche.«
»Sehr seltsam«, meinte ich.
»Nein, überhaupt nicht«, sagte Emerson. »In Ägypten gibt es zahlreiche verlassene Klosteranlagen. Hier gab es schon im zweiten nachchristlichen Jahrhundert die ersten Mönchsgemeinschaften. Das nächstgelegene Dorf Dronkeh ist zum Beispiel eine koptische Gründung.«
»Das hast du mir nie erzählt, Emerson.«
»Du hast mich nie danach gefragt, Peabody.«
Während wir die Räume näher in Augenschein nahmen, fühlten wir uns etwas beunruhigt, obwohl die Sonne von einem strahlendblauen Himmel schien und alles sehr friedlich war. Abdullah hielt sich immer dicht bei Emerson, und seine Augen blickten unruhig hin und her.
Emerson rieb sich sein Kinn. »Vielleicht gab es plötzlich kein Wasser mehr. Dieses Gemäuer ist wahrscheinlich so etwa tausend Jahre alt – Zeit genug für einen Strom, sein Bett zu verändern. Außerdem scheinen mir manche Zerstörungen absichtlich zu sein.«
»Du meinst, es hat Kämpfe gegeben? Zwischen Christen und Moslems?«
»Zwischen verschiedenen Gruppen. Seltsam, daß ausgerechnet die Religionen die grausamsten Kämpfe verursacht haben. Hier in Ägypten haben die Kopten die alten Götter ausgerottet und deren Anhänger verfolgt, bevor sie dann später durch die Moslems ein ähnliches Schicksal erlitten.«
»Uns soll das nicht weiter stören«, sagte ich. »Die Hauptsache ist, daß wir eine Unterkunft haben.
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