Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
…«
»Dieser Sarkasmus steht dir nicht, Emerson«, sagte ich, während ich weiter nach Spuren suchte. »Aha!« rief ich schließlich triumphierend.
»Eine Fotografie des Diebes, vielleicht sogar mit Frau und Kindern? Oder ein Brief mit seiner Adresse – obwohl die meisten Menschen weder lesen noch schreiben können!« Emerson konnte sich manchmal richtig für sein Thema erwärmen.
»Ein Fußabdruck!« sagte ich.
»Ein Fußabdruck«, wiederholte Emerson. »Etwa Nagelstiefel von ungewöhnlicher Machart, die nur ein einziger Schuhmacher in Kairo herstellt …«
»Genau«, sagte ich. »Jedenfalls ein Stiefelabdruck. Allerdings glaube ich nicht, daß er einzigartig ist.«
»Was?« Emerson sprang aus dem Bett. »Wirklich ein Stiefelabdruck?«
»Hier! Ein deutlicher Abdruck. Er muß in die verschüttete Tinte getreten sein. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich darüber bin, obwohl ich mir nicht erklären kann, wie das Tintenglas in meine Tasche gekommen ist. Vielleicht hat Ramses es hineingetan.«
Auf allen vieren inspizierte Emerson den Abdruck. »Es gibt eigentlich keinen Grund, weshalb ein gewöhnlicher Dieb keine Stiefel getragen haben soll. In europäischer Kleidung – vielleicht war er ja Europäer – war es bestimmt leichter, das Hotel zu betreten …« Seine Stimme klang unsicher.
»Ein gewöhnlicher Dieb hätte sich niemals in dieses Hotel gewagt, Emerson. Auch nicht, wenn der Etagendiener schläft, was ja meistens der Fall ist.«
Emerson setzte sich auf seine Fersen. »Ich weiß, was du denkst«, schimpfte er. »Du willst unbedingt eine Verbindung zu Abd el Attis Tod herstellen.«
»Es wäre ein viel größerer Zufall, falls die beiden Ereignisse nicht in Zusammenhang stehen sollten.«
»Es hat schon komischere Zufälle gegeben. Was sollte er hier schon gesucht haben?«
»Vielleicht das Mumienporträt«, gab ich zu bedenken.
Emerson blickte betreten. »Ich hatte vor, es dem Museum zu übergeben, Amelia.«
»Natürlich.«
»Es ist eine sehr hübsche Arbeit, aber nicht besonders wertvoll.« Er rieb sich das Kinn. »Hast duu … hast du irgend etwas aus dem Geschäft gerettet?«
»Nur ein Stück Papyrus, das offenbar vom selben Manuskript stammt wie das, das ich von Abd el Atti erhalten habe.«
»Alles zusammen ist diesen Aufwand nicht wert«, sagte Emerson und setzte sich. Als er nackt, mit auf der Hand gestütztem Kopf, auf dem Bett saß und nachdachte, erinnerte er mich lebhaft an Rodins wunderbare Plastik.
»Vielleicht ist der Papyrus, von dem die Fragmente stammen, wertvoller, als wir annehmen«, meinte er schließlich. »Sayce war beeindruckt – auch wenn er versucht hat, diese Tatsache zu verbergen –, dieser gerissene Kerl. Wir besitzen den Papyrus nicht, oder etwa doch?«
»Emerson, du tust mir unrecht. Wann habe ich jemals etwas Wichtiges vor dir verborgen?«
»Nun, gelegentlich. Aber in diesem Fall will ich dir glauben. Du stimmst also zu, wenn ich sage, daß wir nichts besitzen, was den Besuch eines Abgesandten dieses großen Unbekannten begründet erscheinen ließe?«
»Soviel ich weiß, ja. Allerdings …«
Emerson erhob sich zu seiner vollen Größe und verkündete majestätisch: »Dann war der Einbrecher ein ganz gewöhnlicher Dieb! Und damit wollen wir die Sache auf sich beruhen lassen. Komm ins Bett, Amelia!«
5. Kapitel
Mazghunah.
Man konnte den Namen betrachten, wie man wollte. Es fehlte ihm einfach der geheimnisvolle Klang, der Namen wie Gizeh, Sakkâra oder auch Dahschûr eigen war. Mazghunah war nur eine gesichtslose Anhäufung einiger Silben und sonst gar nichts.
Aber es besaß immerhin eine Bahnstation, wo wir bereits erwartet wurden. Auf dem Bahnsteig hatten sich einige Leute versammelt, und hoch über allen Köpfen erblickte ich das vertraute Gesicht unseres Abdullah, der fast genauso groß wie Emerson war. Sein Haar wurde von Jahr zu Jahr weißer, bis es endlich die Farbe seines blendendweißen Gewandes angenommen haben würde. Trotz seiner weißen Haare steckte er aber noch voller Energie und Tatkraft. Als er uns erblickte, verzog sich sein ernstes Gesicht zu einem breiten Grinsen.
Nachdem unser Gepäck auf die Esel verladen worden war, die Abdullah ausgesucht hatte, bestiegen wir unsere Reittiere. »Los, Peabody!« rief Emerson. »Vorwärts!«
Mit glänzenden Augen trieb er seinen Esel zu schnellerer Gangart. Für einen großen Mann ist es so gut wie unmöglich, auf diesen Biestern eine gute Figur zu machen, aber ich mußte trotzdem nicht
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