Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Amelia Peabody 04: Im Tal der Sphinx

Titel: Amelia Peabody 04: Im Tal der Sphinx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
Vom Netzwerk:
zugebracht hatte, fehlte es mir etwas an Kondition, und ich war bisweilen froh um Emersons starke Hand. Obwohl es von unten so ausgesehen hatte, als wimmelte der Pfad von Menschenmassen, war er eigentlich nicht übervölkert. Wir passierten ein oder zwei weitere Gruppen, als diese auf ihrem Weg eine Pause einlegten. Von Zeit zu Zeit vernahm ich Ramses’ Stimme, der ununterbrochen, wenn auch ziemlich außer Atem, mit seinen Führern diskutierte.
    Die Pyramidenspitze war entfernt worden, so daß ihr Dach aus einem flachen, mehrere Quadratmeter großen Plateau bestand. Auf den überall verstreut liegenden Steinquadern hatten sich die erfolgreichen Kletterer in ihren unterschiedlichen Erschöpfungszuständen niedergelassen. Instinktiv jedes Zusammentreffen vermeidend, strebten wir auf eine der Seitenflächen zu.
    Ich hatte diese Pyramide noch niemals bei Nacht bestiegen. Die zu jeder Tageszeit spektakuläre Aussicht ist im Zauber des Mondlichts einfach phantastisch. Im Osten schimmerte der Nil wie ein dunkles Kristallband hinter den friedlichen Feldern, und die Schatten der Palmen zeichneten sich schwarz gegen den Himmel ab. Weit in der Ferne funkelten und glitzerten die unzähligen Lichter Kairos. Doch unser Blick wurde vom Süden angezogen, wo sich hinter dem schneeweißen Sandstreifen die Überreste der alten Grabstätten der einst so mächtigen Stadt Memphis befanden. Dort lag unser Schicksal für die kommende Saison – zwei winzige Punkte aus bleichem Gestein, welche die Pyramiden von Dahschur kennzeichneten.
    Von meinen Gefühlen überwältigt war ich unfähig, mich in irgendeiner Form zu äußern, ein Zustand, der noch von einer gewissen Atemlosigkeit unterstrichen wurde – da mich Emerson fest umschlungen hielt. Eingehüllt in den Zauber der Nacht standen wir schweigend Arm in Arm.
    Während wir die Aussicht bewunderten, verlor ich jegliches Zeitgefühl. Es können zehn Sekunden, aber auch zehn Minuten gewesen sein, bis ich in einem langen Seufzer ausatmete und mich Ramses zuwandte.
    Doch Ramses war verschwunden.
     
    Meine erste Reaktion bestand darin, an meinem Verstand zu zweifeln. Wenn es ums Verschwinden geht, übertrifft Ramses sich selbst, aber es war kaum möglich, daß er sich auf einem kleinen Plateau in 150 Meter Höhe einfach in Luft auflösen konnte. Emerson stellte seine Abwesenheit ebenso fest und war nicht fähig – oder, was wahrscheinlicher war, nicht gewillt – einen Schrei des Entsetzens zu unterdrücken.
    »Peabody! Wo ist Ramses?«
    »Er muß hier irgendwo sein«, setzte ich an.
    »Ich dachte, du hättest auf ihn aufgepaßt. Oh, großer Gott!« Er warf den Kopf in den Nacken und brüllte aus vollem Halse: »Ramses! Ramses, wo bist du?«
    Eine solch eindringliche Betonung dieses Namens verfehlt niemals ihre Wirkung, speziell in Ägypten, wo er unweigerlich den Gedanken an den Geist des berühmtesten der altägyptischen Pharaonen – und nicht etwa an einen kleinen, ungehorsamen englischen Jungen – heraufbeschwört. Eine der beleibteren Damen fiel geradewegs von dem Steinblock, auf dem sie gesessen hatte, und verschiedene andere Leute sprangen entsetzt und aufgebracht schreiend auf. Emerson rannte über das Plateau, suchte hinter Steinquadern und Damenröcken, womit er sich den wachsenden Unmut der Betroffenen zuzog.
    Einer der Herren besaß die Freundlichkeit, mich anzusprechen und mir seine Hilfe anzubieten. Es war ein stämmiger, pausbäckiger Amerikaner mit schlohweißem Schnurrbart und ebensolchem Haar, was das prompte Lüften seines Hutes zum Vorschein brachte.
    »Ich weiß zwar nicht genau, was Sie suchen, Madam«, sagte er höflich. »Aber wenn Ihnen Caleb T. Clausheimer irgendwie behilflich sein kann …«
    »Was ich suche, Sir, ist ein kleiner Junge.«
    »Ein kleiner Junge namens Ramses? Donner und Doria, Madam, aber das ist ein merkwürdiger Name für einen Sprößling! Mir scheint, ich habe hier vor einer Weile einen Jungen gesehen …«
    Abwesend dankte ich ihm und eilte zu Emerson, der über den Rand der Plattform spähte. »Er ist hinuntergestürzt, Peabody. Verflucht! Verflucht! Das werde ich mir niemals verzeihen. Ich hätte ihn mit einem Strick an mich binden sollen, wie ich das normalerweise immer tue. Ich hätte ihn …«
    »Emerson, beruhige dich. Er kann nicht hinuntergestürzt sein. Das ist keine flach abfallende Mauer. Wir hätten ihn von Stufe zu Stufe aufprallen hören, und selbst Ramses hätte während seines Sturzes geschrien. Nein, er ist hinuntergeklettert,

Weitere Kostenlose Bücher