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Amelia Peabody 04: Im Tal der Sphinx

Titel: Amelia Peabody 04: Im Tal der Sphinx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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und nur der Himmel weiß, warum. Ich hatte ihm ausdrücklich verboten, auch nur einen Schritt …«
    Emerson rannte zur nördlichen Begrenzung des Plateaus und starrte von dieser Seite hinunter. Sie war in tiefe Schatten gehüllt, doch Emersons Blick übertraf aufgrund väterlicher Besorgnis noch die Schärfe eines Adlers. »Da, Peabody – da, siehst du es? Ungefähr zwei Drittel des Pfades nach unten, auf der linken Seite. Sind das nicht Ramses’ Führer? Und scheint nicht einer von ihnen merkwürdig bucklig?«
    Ich erkannte nur die Umrisse der weißen Gewänder, wie sie die Ägypter trugen. Sie wirkten wie ein Streifen Mondlicht, das über das verwitterte Gestein glitt. Zweifellos befand sich dort eine Gruppe von Menschen – wieviele es waren, konnte ich allerdings nicht ausmachen –, und sie waren die einzigen Kletterer auf besagter Seite der Pyramide, da die anderen Besucher aus klar ersichtlichen Gründen den beleuchteten Aufstieg vorzogen.
    »Ich kann nicht erkennen, wer das ist, Emerson, und ich könnte auch nicht sagen …«
    Doch meine Worte verklangen ungehört. Emerson hatte sich über den Rand geschwungen und stürzte sich wie ein Besessener durch das gewaltige Steinmassiv. Unverzüglich folgte ich ihm – allerdings gemesseneren Schrittes.
    Als ich schließlich den Boden erreicht hatte und knöcheltief im Sand versank, konnte ich Emerson nirgends entdecken. Mich tröstete die Tatsache, daß ich auch seinen Körper nirgendwo liegen sah. Also durfte ich annehmen, daß er unversehrt am Fuße der Pyramide angelangt war.
    Der werte Leser hat möglicherweise den Eindruck, daß ich mehr um das Wohl meines Gatten als um das meines Sohnes und Erben besorgt war. Das war tatsächlich der Fall. Ich hatte es längst aufgegeben, mir um Ramses Sorgen zu machen, nicht etwa aufgrund mangelnder Zuneigung (meine Gefühle für diesen Jungen waren die einer jeden Mutter für ihren achtjährigen Sohn), sondern weil mein Ausmaß an Besorgnis in diesem Fall erschöpft war. Im Alter von fünf Jahren hatte Ramses bereits häufiger in der Klemme gesessen als manch einer in seinem ganzen Leben, und ich hatte mehr Energie auf dieses eine Kind verwendet als die meisten Mütter auf eine zwölfköpfige Familie. Zu mehr war ich einfach nicht bereit. Außerdem hatte ich – obgleich ich einen solch abwegigen Gedanken ausschließlich meinem intimen Tagebuch anvertraue – ein beinahe abergläubisches Vertrauen in Ramses’ Fähigkeit entwickelt, nicht nur Katastrophen von ungeahnt entsetzlichem Ausmaß zu überleben, sondern diese sogar unverletzt und unbekümmert zu überstehen.
    Da ich nicht wußte, welche Richtung Emerson eingeschlagen hatte, steuerte ich auf den nordöstlichen Winkel der Pyramide zu. Weit und breit war niemand zu sehen. Touristen und Führer zogen gleichermaßen die beleuchteten Gebiete vor. Ich hatte den Winkel schon fast erreicht, als ein schwacher, aber durchdringender Schrei die Nacht durchschnitt: »Ra-a-a-mses!«
    »Verflucht«, dachte ich. »Er ist in die andere Richtung gegangen.« Doch statt umzukehren, setzte ich meinen Weg fort, da wir unweigerlich irgendwann aufeinandertreffen mußten, und bei dieser Vorgehensweise hätten wir die Pyramide einmal umrundet (wenn man diesen Begriff überhaupt auf eine Baustruktur anwenden kann, deren Grundriß ein exaktes Quadrat darstellt).
    Die Pyramiden von Gizeh sind die einzig augenfälligen unter den altägyptischen Grabstätten, die das Hochplateau durchsetzen. Doch der Sand um mich herum war gekennzeichnet von den Spuren und Ruinen der darunterliegenden Bauwerke. Man mußte sorgfältig auf seine Schritte achten, da die Gefahr bestand, in eine offene Grabkammer zu fallen oder über einen umgestürzten Steinquader zu stolpern, und deshalb kam ich nur relativ langsam voran. Während ich in Gedanken abspulte, was ich Ramses alles sagen würde, wenn ich ihn schließlich fand, vernahm ich etwas, das nach einer Auseinandersetzung klang. Zunächst konnte ich nicht ausmachen, woher die dumpfen Schläge, das Stöhnen und die unterdrückten Schreie kamen, denn solche Geräusche sind in der klaren Wüstenluft über weite Entfernungen zu hören. Erst als ich mich umsah, nahm ich das verräterische Flattern weiter Gewänder wahr. Deren Träger schienen in eiligem Aufbruch begriffen und waren bald schon hinter einer der kleinen Nebenpyramiden – dem schmückenden Beiwerk der Großen Pyramide – verschwunden.
    Mit gezücktem Sonnenschirm nahm ich die Verfolgung auf, obgleich

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