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Amelia Peabody 04: Im Tal der Sphinx

Titel: Amelia Peabody 04: Im Tal der Sphinx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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weiblichen Formen darstellte.
    Ich erinnerte mich an die alte Legende von dem Doppelgänger, dessen gruselige Erscheinung den nahen Tod verkündet, und ich gebe zu, daß es mich für Sekundenbruchteile eisig durchzuckte. Emerson war gleichermaßen berührt. Ein leises »Oh, verflucht« ließ auf die Intensität seiner Gefühle schließen, und sein Arm hielt mich so fest an sich gedrückt, als wollte er sogar dem Sensenmann die Stirn bieten, falls dieser mich holen käme.
    Die schattenhafte Gestalt unter uns schwankte und erbebte wie ein unergründlicher See, in den man einen Stein geworfen hat. Langsam sackte sie in sich zusammen und lag reglos da.
    Der Zauber war gebrochen. Ich hatte keinen Geist, sondern tatsächlich eine lebende Frau gesehen – zumindest lebte sie bis zu jenem Augenblick noch. Wie und warum sie allerdings dorthin gekommen war, war für uns beinahe so rätselhaft wie letztlich die Unfaßbarkeit von Leben und Tod.
    Emerson immer dicht auf den Fersen kletterte ich von dem Felsgrat hinunter und kniete mich dann neben die zusammengebrochene Gestalt. Die Bekleidung der Frau war meiner sicherlich ähnlich, doch ansonsten beschränkte sich die gemeinsame Ähnlichkeit auf unsere Haarfarbe. Trotz ihrer Leichenblässe war sie offenbar einige Jahre jünger als ich – fast noch ein junges Mädchen. Ihre goldumrandete Brille war aufgrund der Wucht des Aufpralls von ihrer Nase verrutscht, und ihre gesenkten Wimpern über den aschfahlen Wangen waren lang und gebogen.
    »Zum Teufel, aber jetzt reicht es«, erklärte Emerson aufgebracht. »Du weißt, Amelia, daß ich der toleranteste und mildtätigste Mensch überhaupt bin. Es macht mir nichts aus, einem Unglücklichen meine helfende Hand entgegenzustrecken, aber zwei an einem Tag belasten meine gutmütige Seele ganz erheblich. Äh – sie ist doch hoffentlich nicht tot, oder?«
    »Sie scheint in Ohnmacht gefallen zu sein«, sagte ich. »Emerson, sei so nett und heb ihre Füße etwas an.«
    Mit einer seiner riesigen, gebräunten Hände umschloß Emerson die schlanken Knöchel des Mädchens und riß sie mit so viel gutem Willen hoch, daß ihre Beine exakt einen rechten Winkel zu ihrem Körper bildeten. Ich korrigierte dieses kleine Mißgeschick, öffnete meine Wasserflasche und goß dem Mädchen Wasser übers Gesicht.
    »Sie rührt sich nicht«, sagte Emerson, und das Zittern in seiner männlichen Stimme zeugte von seinem weichen und gutmütigen Naturell, das er außer mir nur wenigen jemals zu erkennen gibt. »Bist du sicher …«
    »Absolut sicher. Ihr Pulsschlag ist gleichmäßig. Du kannst ihre Füße wieder loslassen, Emerson – nein, nein, nicht einfach fallen lassen, sondern vorsichtig nach unten absenken.«
    Erleichtert verfiel Emerson wieder in sein natürliches Verhaltensmuster zurück. »Das ist wirklich fahrlässig von Petrie«, brummte er. »Es kümmert ihn nicht, ob seine Untergebenen umfallen wie die Fliegen. Oh, nein, er weiß ja, daß sie zu uns rennen werden und uns von der Arbeit abhalten. Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, werde ich ein ernstes Wort mit ihm reden. Über dieses ganze unsägliche, unverantwortliche …«
    »Hältst du sie für eine von Mr. Petries Assistentinnen?« fragte ich.
    »Nun, wer könnte sie sonst sein? Quibell erklärte, daß die jungen Damen krank seien. Zweifellos hat dieses Mädchen hier die Eingebung gehabt, daß sie mit Petrie an einen Irren geraten ist. Scheint über eine beträchtliche Menschenkenntnis zu verfügen. Warum wacht sie eigentlich nicht auf?«
    »Ich glaube, daß sie wieder zu sich kommt«, sagte ich. Genaugenommen war ich mir sicher, daß das Mädchen seit einer Weile bereits wieder bei Bewußtsein war – und ich hatte guten Grund zu der Annahme, warum sie das verheimlichen wollte.
    »Gut.« Emerson betrachtete das Gesicht des Mädchens und atmete so behutsam, daß ihre Brille beschlug. Nachdem ich ihr Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, hatte ich ihr diese wieder richtig auf die Nase gesetzt, obwohl ich bezweifelte, daß sie ihr wirklich nutzen konnte. Die Gläser schienen aus schlichtem Fensterglas zu bestehen.
    »Natürlich bin ich froh um jeden Kranken, dem ich helfen kann«, sagte ich, während ich die flatternden Augenlider und die bebenden Lippen beobachtete, die darauf hindeuteten, daß sie ihr Bewußtsein wiedererlangt hatte. Sie beherrschte das ziemlich gut. Bestimmt hatte sie sich schon häufiger als Laiendarstellerin betätigt. »Aber ich hoffe, sie erwartet nicht, bei uns bleiben

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