Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
der schlaffen Hand des Journalisten. »Darf ich fragen, warum Sie von Opiumhöhlen sprechen?« wollte er mit schwacher Stimme wissen.
Ich übernahm die Aufklärung des jungen Mannes, da Emerson in eine Art Dämmerzustand verfallen war und leise vor sich hin murmelte. Hier und da hörte man Satzfetzen wie: »Sie in einem Zimmer einsperren? Absurd … sie würde einen Fluchtweg finden … das war noch jedesmal so. Und das Personal würde glauben … o gütiger Himmel!«
»Also, Kevin, Sie müssen verstehen, daß eine Opiumhöhle der geignetste Ort für die Aufnahme unserer Ermittlungen ist. Ahmet ist Opiumhändler und -konsument. Seine Freunde – sofern er welche hat – und Kollegen findet man am ehesten in diesen Etablissements. Ich selbst kenne die speziellen Lokalitäten in London nicht, die von opiumsüchtigen Ägyptern aufgesucht werden – denn die Küken einer Henne, so lautet das Sprichwort, glucken in einem Nest zusammen, und deshalb kann man davon ausgehen, daß sich die Ägypter und andere Emigrantengruppen ähnlich verhalten. Allerdings ist Emersons umfassende Erfahrung und seine persönliche Bekanntschaft mit vielen … Emerson, ich wünschte, du würdest dieses Gemurmel einstellen. Das irritiert mich.«
»… gefesselt und geknebelt … aber das ist noch lange nicht alles …«
»Was sagte ich gerade, Mr. O’Connell?«
»Sie schilderten mir Ihre Beweggründe für … für den Besuch einer Opiumhöhle«, erwiderte Kevin in dem Bemühen, seine zuckende Mundmuskulatur unter Kontrolle zu bringen.
»Oh, gewiß doch, danke. Es ist der ägyptische Zusammenhang, verstehen Sie. Bislang habe ich diesen Aspekt außer acht gelassen, da mir die Angelegenheit eindeutig europäischer, um nicht zu sagen englischer Natur zu sein schien. Allerdings hat noch niemand das Gesicht des vermeintlichen Priesters gesehen; was, wenn er gar nicht Engländer, sondern Ägypter ist, eine bessere Bildung als einige seiner Landsleute besitzt, aber nicht völlig frei von dem naiven Aberglauben ist, der trotz der britischen Aufklärungsbemühungen immer noch seine Blüten treibt? Wir sind solchen Phänomenen in anderen Fällen begegnet. Weißt du noch, Emerson, wie der Mudir dich an der Öffnung der Baskerville-Gruft hindern wollte?«
Versunken in seinen Tagtraum, reagierte Emerson nicht, doch Kevin ereiferte sich: »Ganz recht. Ich erinnere mich noch sehr gut. Ihre eigenen Arbeiter fürchteten sich so sehr vor dem vermeintlichen Fluch, daß sie sich weigerten, in das Grab hinabzusteigen, bis Professor Emerson schließlich einen seiner berühmten Exorzismen durchführte. Dennoch, Mrs. E., wenn Aberglaube tatsächlich das Mordmotiv ist, dann sieht es nicht gut aus für den armen, alten Ahmet.«
»Ich erwähnte das lediglich als eine Möglichkeit von vielen«, erwiderte ich. »Trotzdem sollte man ihr nachgehen. Mein Gatte hat Freunde und Bekanntschaften in einer Vielzahl seltsamer Lokalitäten, wissen Sie. Aufgrund seiner großen Bescheidenheit würde er sich niemals mit seinen Beziehungen brüsten, dennoch wäre ich kaum erstaunt, wenn er den Kontakt mit den Ägyptern pflegte, die hier –«
Emersons Blick wurde schlagartig klarer. »Gib diese Idee auf, Peabody. Wir werden keine einzige Opiumhöhle aufsuchen.«
»Ich dachte, ich könnte mich als junger Mann verkleiden«, erklärte ich. »Eine Frau würde in einem solchen Umfeld viel zu sehr auffallen, und die Bequemlichkeit von Hosen –«
Emerson musterte mich von Kopf bis Fuß. »Peabody«, sagte er, »du wirst unter gar keinen Umständen und in keiner nur denkbaren Verkleidung als Mann durchgehen. Deine ausladende –«
»Einer der Diener könnte mir etwas leihen«, sinnierte ich. »Henry hat ungefähr meine Größe. Mr. O’Connell, Sie scheinen sich verschluckt zu haben. Trinken Sie Ihren Whiskey nicht so schnell.«
»Ich – äh – habe etwas in den falschen Hals gekriegt«, krächzte Kevin. »Äh-hm, äh-hm. Es geht schon besser. Ihr Plan ist brillant, Mrs. E. Ich bin sicher, daß Sie das von Professor Emerson angedeutete – äh – Problem bewältigen können, und außerdem ist es stockfinster. Wir werden dafür sorgen, daß Ihnen niemand zu nahe tritt und Sie erkennt.«
»Wir«, wiederholte ich.
»Ja, Ma’am, wir. Der Professor kann soviel protestieren, wie er will, aber da ich Sie kenne, Mrs. E., weiß ich, daß Sie sich durchsetzen werden. Und wohin Sie gehen, Mrs. Emerson, da werde auch ich hingehen.«
»Ach, du meine Güte«, sagte ich mit einem
Weitere Kostenlose Bücher