Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
Abscheu zu verbergen. Mir versetzte er einen Rippenstoß, damit ich den Mund hielt. »Ich will keine andere Frau als die verehrte Madam.«
Murteks Gesicht verfinsterte sich wieder. Mit gebeugten Schultern stieg er die Stufen hinauf.
»Das ist doch wohl die Höhe!« rief ich entrüstet aus. »Offenbar wäre deine Einmischung geduldet oder sogar gebilligt worden, wenn du dir die Frau als Konkubine ausgeguckt hättest! Und wenn man sich vorstellt, daß dieser alte Schwerenöter sie dir angeboten hat wie ein Kätzchen! Dazu noch in meiner Gegenwart!«
»Die Monogamie ist nicht weltweit verbreitet, Peabody«, entgegnete Emerson und nahm meine Hand, als wir die Stufen hinaufstiegen. »Und ich glaube, daß sich die Frauen in vielen Kulturen über eine zusätzliche Gattin freuen. So haben sie Gesellschaft und können sich die hausfraulichen Pflichten teilen.«
»Ich habe hierzu eine andere Auffassung, Emerson.«
»Das überrascht mich nicht, Peabody.« Emerson wurde wieder ernst. »Offensichtlich hattest du recht: Die rekkit haben es nicht viel besser als Sklaven. Möglicherweise waren sie die Ureinwohner dieser Oase. Die augenblickliche Oberschicht besteht aus Nachkommen ägyptischer und meroitischer Einwanderer. Ehen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen sind verboten oder werden zumindest erschwert. Allerdings bin ich mir sicher, daß es trotzdem zu Vermischungen gekommen ist.«
»Wenn man bedenkt, wie die Männer nun einmal sind …«, höhnte ich.
»Peabody, du weißt, ich habe nie … und ich werde auch nie …«
»Solange du bei Anwesenden eine Ausnahme machst«, meinte ich gnädig.
Murtek verabschiedete sich von uns mit der Trauer eines Menschen, der einem sterbenden Freund zum letztenmal Lebewohl sagt – oder eines sterbenden Menschen, der seinen Freunden zum letztenmal Lebewohl sagt. Seit wir zu unserem Ausflug aufgebrochen waren, schien er um zehn Jahre gealtert. Zwei Wachmänner mußten ihn in seine Sänfte heben.
»Glaubst du, wir haben ihn durch unser Verhalten ernsthaft in Gefahr gebracht?« fragte ich, als wir vor unserer Eskorte her in unsere Gemächer gingen.
Emerson beantwortete das mit einer Gegenfrage: »Interessierst dich das wirklich?«
»Ja, eigentlich schon. Er ist ein netter alter Herr, und man kann es ihm kaum zum Vorwurf machen, daß er sich nicht über die zweifelhaften Verhaltensregeln seiner Gesellschaft hinwegsetzt.«
»Du solltest dich besser fragen, ob wir uns selbst in Gefahr gebracht haben.«
»Das haben wir wahrscheinlich, oder?«
»Jedenfalls haben wir uns keinen guten Dienst erwiesen«, antwortete Emerson ruhig.
»Aber wir hatten keine andere Wahl«, merkte Ramses in seinem würdevollsten Tonfall an. »Wir hätten nicht anders handeln können.«
»Ganz recht, mein Sohn.« Emerson klopfte ihm auf den Rücken. »Und deshalb bleibt uns nur, die Folgen abzuwarten. Ganz sicher wird Murtek unser Abenteuer melden; er weiß, daß es sonst einer der Wachleute tut.«
Mentarit stürzte sich tadelnd und kopfschüttelnd auf mich und bestand darauf, daß ich meine Kleider, besonders meine Stiefel wechselte, die mit verschiedenen ekelhaften Substanzen beschmiert waren. Da ich vor Aufregung, körperlicher Anstrengung und der schrecklichen Schwüle im Tal recht ins Schwitzen geraten war, erhob ich keinen Einspruch. Ich versuchte gerade, einen Riß in meiner Hose zu flicken – eine gräßliche Aufgabe, denn das Nähen gehört, obwohl ich immer Nadel und Faden bei mir habe, ganz und gar nicht zu meinen Begabungen –, als Ramses aus dem Garten hereinkam. Im Arm hielt er eine riesige, getigerte Katze.
Ich stach mich in den Daumen. »Wo um Himmels willen …?« fing ich an.
»Sie ist über die Mauer geklettert«, antwortete Ramses, wobei ihm ein fast normaler Ausdruck kindlicher Freude auf dem Gesicht stand. »Sie könnte die Schwester oder der Bruder von unserer Katze Bastet sein, findest du nicht, Mama?«
Das Tier hatte wirklich eine gewisse Ähnlichkeit mit Ramses’ Haustier, das uns auf einer früheren Expedition in Ägypten adoptiert hatte. Doch obwohl diese Katze dasselbe bräunliche Fell hatte wie Bastet, war sie mindestens doppelt so groß – und Bastet konnte man auch nicht eben zierlich nennen.
»Willst du sie mal halten, Mama?« Ramses streckte mir die Katze entgegen. Ich freute mich, daß er sie so bereitwillig mit mir teilen wollte, beschloß allerdings trotzdem abzulehnen: Das Tier sah mich aus großen, goldenen Augen an, und ich stellte fest, daß es die
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