Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
Krallen ausgefahren hatte.
Ramses ließ sich im Schneidersitz auf dem Boden nieder und redete leise auf die Katze ein, was dieser zu gefallen schien. »Komisch«, meinte ich, während ich die beiden lächelnd beobachtete. »Wir haben doch im Dorf gar keine Katzen gesehen.«
»Möglicherweise werden sie verehrt wie im alten Ägypten«, erwiderte Ramses und kraulte die Katze unterm Kinn. Seine nächsten Worte wurden von einem kehligen Schnurren untermalt. »Die hier trägt ein Halsband.«
Und so war es auch – ein Halsband aus fein geflochtenem Stroh oder Binsen. Ich hatte es erst bemerkt, als die Katze den Kopf hob, denn ihr Fell war sehr dicht und flauschig.
Ramses spielte noch eine Weile mit der Katze – wenn »spielen« der richtige Ausdruck ist. Es war fast unheimlich mitanzusehen, wie sie tuschelnd beziehungsweise schnurrend die Köpfe zusammensteckten, wobei die Katze von Zeit zu Zeit ein heiseres »Miau« ertönen ließ, das wie die Antwort auf eine Frage klang. Doch schließlich rollte sie sich von Ramses’ Schoß, stand auf und stolzierte davon. Ramses folgte ihr in den Garten.
Es wollte einfach nicht Nacht werden. Meiner Erfahrung nach dauert es meist eine Ewigkeit, bis ein herbeigesehntes Ereignis eintritt. Doch schließlich legte ich mich ins Bett, und Emerson kam aus seinem Zimmer.
Sein majestätischer Gang und die herrische Geste, mit der er die kichernde Mentarit hinausschickte, weckte in mir den deutlichen Eindruck, daß ihm diese Prozedur allmählich zu gefallen schien. Dieser Eindruck wurde zusätzlich durch gewisse Aktivitäten seinerseits erhärtet, die den Vorgängen zugegebenermaßen eine neue und pikante Note verliehen.
Einige Zeit später kamen wir auf Mordanschläge zu sprechen.
»Höchst unwahrscheinlich«, verkündete Emerson, immer noch in Siegerlaune.
»Da bin ich anderer Ansicht. Jeder könnte über die Gartenmauer klettern, sogar ich.«
»Und du würdest den Wachmännern in die wartenden Arme laufen, Peabody.«
»Woher weißt du das? Hast du sie gesehen?«
»Nein, aber gehört. Ich rechnete mit ihrer Anwesenheit, da der Garten, wie du schon gesagt hast, eine Schwachstelle darstellt. Als ich lauschte, hörte ich das Klappern von Waffen und leise Stimmen. Was die Fenster betrifft, könnte sich ein Mann zwar hindurchzwängen, allerdings nicht ohne Lärm zu verursachen, denn sie sind zu hoch und zu eng.«
»Aha«, sagte ich. »Also hast du auch daran gedacht.«
Emerson rutschte unruhig herum. »Warum bist du heute nacht in so düsterer Stimmung, Peabody?«
»Wie kannst du das fragen?«
»Aber ich habe dich soeben gefragt«, gab Emerson zurück. »Und bitte rede nicht wieder von unheilvollen Vorahnungen oder dem Gefühl, uns drohe ein Unglück. Was – was tust du denn da?«
»Ich lausche der Stimme deines Herzens«, antwortete ich. »Es schlägt ein wenig schnell, glaube ich.«
»Das würde mich nicht wundern«, meinte Emerson. »Wie steht es mit deinem?«
Nach einer Weile jedoch verkündete Emerson, er wolle in sein Zimmer zurückkehren. »Macht es dir etwas aus, Peabody? Dieses schreckliche Mädchen huscht immer an der Tür vorbei. Ich kann mich nicht konzentrieren … darauf, was ich gerade tun wollte.«
Meiner Ansicht nach hatte er sich recht gut konzentriert, aber ich wollte nicht widersprechen. Obwohl er es nie zugegeben hätte, verspürte er dieselbe unheilvolle Vorahnung, die auch mir aufs Gemüt schlug. Ich war bewaffnet und bereit – aber Ramses nicht, und man hatte ihn schon zweimal durch geheimnisvolle und unbekannte Mächte aus dem Bett gelockt. Also wünschte ich Emerson liebevoll eine gute Nacht, und bevor ich einschlief, hörte ich ihn noch unterdrückt fluchen, als er auf dem Weg zur Tür über einen Schemel stolperte.
Ich möchte nicht behaupten, daß ich nachts häufig von Einbrechern, Mördern oder anderen Eindringlingen geweckt werde. »Häufig« wäre eine Übertreibung. Allerdings ist es schon oft genug geschehen, so daß meine Sinne geschärft sind und mein Geist schlafend fast ebenso aufmerksam ist wie im Wachzustand. Diesmal vernahm ich, wie ich glaube, kein Geräusch, doch trotzdem wurde ich von meinem erprobten sechsten Sinn jäh aus dem Schlaf gerissen. Eine dunkle Gestalt beugte sich über mich. Die Lampen waren ausgegangen, und das schwache Mondlicht aus dem Garten schien nicht bis an mein Bett. Aber ich brauchte kein Licht, um zu wissen, daß es sich nicht um die Magd handelte. Als ich versuchte, mich auf die andere Seite des Bettes zu
Weitere Kostenlose Bücher