Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
die allerdings, wie sich noch herausstellen würde, von den Ereignissen an Grauen übertroffen werden sollte. »Emerson«, meinte ich sanft, »du hast doch die Genehmigung beantragt? Du hast doch nicht etwa den Fehler wiederholt, den du vor einigen Jahren machtest? Damals hast du den Antrag nicht rechtzeitig eingereicht, und statt eine Genehmigung für Dahshoor zu bekommen, mußten wir uns mit der langweiligsten und unergiebigsten Ausgrabungsstätte von ganz Unterägypten begnügen. Emerson! Leg die Zeitung weg und antworte mir! Hast du von der Altertumsverwaltung die Genehmigung erhalten, in dieser Saison Ausgrabungen in Sakkara durchzuführen?«
Emerson ließ die Zeitung sinken. Als er mein Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt bemerkte, fuhr er zurück. »Kitchener«, sagte er, »hat Berber eingenommen.«
Mir ist es unvorstellbar, daß zukünftige Generationen meine Begeisterung für das Studium der Geschichte möglicherweise nicht teilen könnten. Außerdem fehlt mir jegliches Verständnis für Briten, die nichts über dieses bemerkenswerteste Kapitel der Historie ihres Empires wissen. Allerdings sind schon merkwürdigere Dinge vorgekommen. Und angesichts einer solchen Katastrophe (denn anders würde ich das nicht nennen), bitte ich Sie, meine Leser, um Erlaubnis, Ihnen Fakten in Erinnerung zu rufen, die Ihnen genauso vertraut sein sollten wie mir.
Als ich im Jahre 1884 zum erstenmal Ägypten besuchte, war der Mahdi für die meisten Engländer nichts weiter als einer von vielen zerlumpten religiösen Fanatikern, und das, obwohl seine Gefolgsleute bereits den halben Sudan überrannt hatten. Dieses Land, das sich von den felsigen Katarakten in Assuan bis zu den Urwäldern südlich der Stelle, wo der Blaue und der Weiße Nil zusammenfließen, erstreckt, wurde im Jahre 1821 von Ägypten erobert. Die Regierung der Paschas – eigentlich keine Ägypter, sondern Nachkommen eines albanischen Abenteurers – herrschte in dieser Region noch korrupter und unfähiger als in Ägypten selbst. Obgleich die wohlwollende Intervention einiger Großmächte (besonders Großbritanniens) Ägypten vor einer Katastrophe bewahrte, verschlechterte sich die Lage im Sudan zusehends. Schließlich erklärte sich ein gewisser Mohammed Ahmed Ibn el-Sayyid Abdullah zum Mahdi, zur Wiederverleiblichung des Propheten, und zettelte eine Rebellion gegen die ägyptische Tyrannei und Mißwirtschaft an. Seine Anhänger hielten ihn für den Nachkommen einer Familie von Scheichs, seine Gegner verspotteten ihn als armen, unwissenden Bootsbauer. Doch ungeachtet seiner Herkunft verfügte er über eine erstaunlich charismatische Persönlichkeit und ein bemerkenswertes rhetorisches Geschick. Nur mit Knüppeln und Speeren bewaffnet, hatten seine zerlumpten Soldaten Meter um Meter des Landes erobert und bedrohten nun die sudanesische Hauptstadt Khartum.
Gegenspieler des Mahdi war der heldenhafte General Gordon. Anfang des Jahres 1884 hatte man ihn nach Khartum geschickt, um den Rückzug der dort und im nahe gelegenen Omdurman stationierten Truppen einzuleiten. In der Öffentlichkeit war diese Entscheidung sehr umstritten, denn Khartum zu verlassen bedeutete, den gesamten Sudan aufzugeben. Damals und auch später warf man Gordon vor, er habe von Anfang an die Absicht gehabt, den Befehl nicht zu befolgen. Jedenfalls verzögerte er den Truppenabzug, aus welchen Gründen auch immer. Als ich im Herbst 1884 in Ägypten eintraf, belagerten die wilden Horden des Mahdi Khartum. Das ganze Umland bis zur ägyptischen Grenze befand sich in den Händen der Rebellen.
Der heldenhafte Gordon hielt Khartum, und die britische Öffentlichkeit, angeführt von der Königin persönlich, forderte seine Befreiung. Also schickte man schließlich eine Expedition los, die die belagerte Stadt jedoch erst im Februar des folgenden Jahres erreichte – drei Tage nachdem Khartum gefallen und der heldenhafte Gordon im Garten seines eigenen Hauses niedergemetzelt worden war. »Zu spät!« schrie man in England gequält auf. Eine Laune des Schicksals wollte es, daß der Mahdi seinen großen Gegner nur um sechs Monate überlebte. Daraufhin nahm einer seiner Offiziere, Khalifa Abdullah el-Taashi, seinen Platz ein, der noch tyrannischer herrschte als sein ehemaliger Anführer. Mehr als ein Jahrzehnt lang stöhnte das Land unter seinen Grausamkeiten, während der britische Löwe seine Wunden leckte und sich weigerte, seinen gefallenen Helden zu rächen.
Die politischen,
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