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Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Titel: Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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einen Vorschlag, mein Freund?«
    Auf meine Handbewegung hin kam Kemit näher und kauerte sich neben mich. Ramses tat es ihm sofort nach. Inzwischen bewunderte er diesen schweigsamen, gutaussehenden Mann sehr, und der Anblick der beiden – man mußte an einen Storch mit seinem Küken denken – brachte mich immer wieder zum Lächeln.
    Emerson hingegen war ganz und gar nicht nach Lächeln zumute. Er fächelte sich mit seinem Hut Kühlung zu und höhnte: »Falls Kemit einen Einfall hat, wie er uns aus diesem Schlamassel retten kann, ziehe ich den Hut vor ihm. Wir …«
    »Du kannst den Hut nicht ziehen, ehe du ihn nicht aufgesetzt hast«, unterbrach ich ihn.
    Emerson klatschte den Gegenstand meiner Stichelei so heftig auf seinen schwarzen, zerzausten Schopf, daß seine Wimpern erzitterten. »Wie ich bereits sagte, sind wir sechs Tage vom Nil entfernt, das heißt mit der Schrittgeschwindigkeit eines Kamels. Zu Fuß dauert es erheblich länger. Wenn man der sogenannten Karte, der wir gefolgt sind, trauen kann, gibt es, wenn man weiter geradeaus geht, eine Oase oder ein Wasserloch. Mit einem Kamel würde der Weg etwa zwei Tage in Anspruch nehmen, aber wir haben keins. Unser Wasser reicht für etwa zwei Tage, vorausgesetzt wir rationieren es streng.«
    Das war eine akkurate und besorgniserregende Bestandsaufnahme. Dabei hatte Emerson eines nicht erwähnt, weil wir es sowieso alle wußten, nämlich daß unsere Lage noch aus einem anderen Grund verzweifelt war: Unsere Diener hatten uns im Stich gelassen. In der letzten Nacht hatten sie sich gemeinsam aus dem Staub gemacht und alle Wasserschläuche, bis auf die halbvollen Behälter in unseren Zelten und die Feldflasche, die ich immer am Gürtel trage, mitgenommen. Allerdings hätte es noch schlimmer kommen können: Sie hatten es wenigstens unterlassen, uns zu ermorden. Doch diese Rücksichtnahme war mit Sicherheit nicht auf Menschenfreundlichkeit zurückzuführen. Emerson ist für seine Körperkraft und seine aufbrausende Art berüchtigt, und viele der schlichten Eingeborenen glauben, daß er übernatürliche Kräfte hat. (Ich selbst habe auch einen gewissen Ruf als Sitt Hakim, Spenderin geheimer Heiltränke.) Deshalb hatten sie es vorgezogen, sich in der Dunkelheit davonzustehlen, anstatt es auf eine Auseinandersetzung ankommen zu lassen. Kemit behauptete, man habe ihn niedergeschlagen, als er versucht habe, die Abtrünnigen aufzuhalten. Warum er sich nicht ebenfalls den Meuterern angeschlossen hatte, konnte ich mir nicht erklären. Vielleicht war es Treue – obwohl er uns nicht mehr zu Dank verpflichtet war als die anderen, die schon genauso lange für uns arbeiteten. Möglicherweise hatte man ihn einfach nicht aufgefordert mitzukommen.
    Kemit hatte vieles an sich, das einer Erklärung bedurfte. Obwohl er nun mit ausdruckslosem Gesicht auf dem Boden hockte, wobei seine Knie fast die Ohren berührten, wirkte er alles andere als komisch. Seine markanten Züge erinnerten mich an einige Skulpturen aus der Vierten Dynastie, besonders an das ausgezeichnete Portrait König Chephrens, des Erbauers der Zweiten Pyramide. Ich hatte Emerson auf diese Ähnlichkeit angesprochen, und seine Antwort hatte gelautet, das sei nicht weiter überraschend. Schließlich fließe das Blut vieler Völker in den Adern der alten Ägypter, und einige der nubischen Stämme seien wahrscheinlich ihre entfernten Abkömmlinge. (Ich sollte hinzufügen, daß diese Theorie meines Gatten – er betrachtete sie nicht als Theorie, sondern als Tatsache – von der Mehrheit seiner Kollegen abgelehnt wurde.)
    Ich stelle fest, daß ich vom roten Faden meiner Erzählung abgekommen bin, wie es mir häufig passiert, wenn wissenschaftlich interessante Fragen aufgeworfen werden. Lassen Sie mich also die Seiten meines Tagebuchs zurückblättern und in der richtigen zeitlichen Reihenfolge erzählen, wie wir überhaupt in diese ungewöhnlich mißliche Lage geraten waren. Dahinter, werter Leser, steht nicht die unlautere Absicht, Ihre Sorge um unser Überleben ins Unerträgliche zu steigern. Denn schließlich verfügen Sie über die Intelligenz, die ich von meinen Lesern erwarte, und wissen deshalb, daß ich diesen Bericht nicht schreiben könnte, wenn ich das Schicksal der Kamele geteilt hätte.
     
    Ich muß nicht nur einige, sondern viele Seiten zurückblättern und Sie in unser ruhiges Landhaus in Kent entführen. Es war fast Herbst, und die Blätter färbten sich schon golden. Nach einem geschäftigen Sommer voller

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