Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
aus indischer Philosophie und Okkultismus. Du meine Güte, jetzt bin ich aber enttäuscht. Vielleicht ist Miss Marmaduke ja doch unschuldig und nur ein bißchen leichtgläubig.«
»Bist du jetzt zufrieden, Amelia?« fragte Evelyn nervös. »Sie können jeden Augenblick zurückkommen, und es wäre sehr peinlich, wenn wir erwischt würden.«
»Liebe Evelyn, wir werden rechtzeitig gewarnt werden. Emersons normale Sprechstimme ist auch noch in einiger Entfernung zu hören, nicht zu vergessen das Geschrei, das gewöhnlich seine Ankunft ankündigt.«
Da ich davon überzeugt war, machte ich mir nicht die geringsten Sorgen, ich könnte in flagranti ertappt werden, und beendete in aller Seelenruhe die Suche – allerdings ohne Ergebnis.
»Verdammt!« rief ich aus. »Sie muß etwas auf dem Kerbholz haben. Auch ein Unschuldiger kann kein Leben führen, das gänzlich frei von allen harmlosen Lastern ist! Keine Liebesbriefe, keine Schnapsflaschen, nicht einmal eine versteckte Pralinenschachtel.«
Ich unterzog die Kabine einer letzten, eingehenden Musterung. Ich hatte nichts übersehen; jeden Zentimeter hatte ich abgesucht. Außer …
Ich ergriff die Stiefel, die am Fußende des Bettes standen, drehte sie um und schüttelte sie heftig. Ohne das Schütteln hätte ich die kleine Pappschachtel wahrscheinlich nie entdeckt, denn sie war bis tief in die Stiefelspitze geschoben worden.
Ich schnürte sie auf und nahm den Deckel ab. Da die Schachtel voller Watte war, ging ich vorsichtig zu Werke. Ein goldener Schimmer ließ mich ahnen, was ich finden würde. Es war der Ring, den ich zum erstenmal an Mr. Shelmadines Finger gesehen hatte – das Schmuckstück mit der Kartusche von Königin Tetischeri, das in der Nacht seines Todes aus unserem Hotelzimmer verschwunden war.
Nach dem Mittagessen, das auf dem Oberdeck serviert wurde, zerstreuten wir uns. Emerson kehrte natürlich, begleitet von Sir Edward und den Kindern, zum Grab zurück. Da Gertrude mit dem Packen fertig war, begleitete ich sie, meine Schwägerin und meinen Schwager ans andere Ufer nach Luxor, um den Zimmertausch vorzunehmen und einige notwendige Einkäufe zu erledigen.
Evelyn und ich hatten keine Gelegenheit mehr gehabt, über die erstaunliche Entdeckung des Rings zu sprechen. Durch Emersons Rufe gewarnt, blieb uns kaum die Zeit, alle Spuren unseres Besuchs zu verwischen und die Kabine hastig zu verlassen. Als Gertrude sich zu uns an Deck gesellte, hatte sie sich umgezogen und trug ihre Stiefel. Wenn ihr etwas aufgefallen war, ließ sie sich das nicht anmerken. Ich fragte mich, was sie mit dem Ring gemacht hatte. Sicherlich trug sie ihn nicht an einer Kette um den Hals, denn ich hätte seine Umrisse sicherlich unter ihrer Bluse gesehen.
Im Hotel angekommen, ging ich mit ihr auf ihr Zimmer, um es in Augenschein zu nehmen – nur für den Fall, daß ich vielleicht irgendwann einmal unangemeldet bei ihr hereinschauen wollte. Die Lage war sehr zufriedenstellend: im zweiten Stock mit einem kleinen Balkon und einer praktischen Weinranke gleich daneben.
Gertrude war zwar so höflich, ihr Zimmer zu loben, wollte mich aber anscheinend nur ungern gehen lassen.
»Soll ich nicht mit Ihnen zurückkommen und mit den Unterrichtsstunden für die Kinder fortfahren? Es ist schon fast eine Woche her …«
»Heute abend sind sie bestimmt nicht in der richtigen Stimmung, um sich mit der englischen Literatur zu befassen«, entgegnete ich ungeduldig. »Disziplin ist nicht zu verachten, Gertrude, doch es hat keinen Sinn, Unmögliches zu erwarten. Ich werde morgen vormittag jemanden nach Ihnen schicken. Vielleicht können Sie ja auch mit Sir Edward hinüberfahren. Ja, das ist wahrscheinlich das beste. Bei seiner Rückkehr heute abend wird er eine Uhrzeit und einen Treffpunkt mit Ihnen vereinbaren.«
Sie machte ein Gesicht, als wollte sie widersprechen, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, wogegen – etwa, weil man sie zwang, ohne Anstandsdame ein Boot mit einem stattlichen jungen Mann zu teilen? Ich wünschte ihr einen schönen Nachmittag und ging.
Die Einkäufe nahmen kaum Zeit in Anspruch, da die Läden in Luxor fast ausschließlich Antiquitäten – echte und gefälschte – im Sortiment haben. Natürlich wäre es für Walter am vernünftigsten gewesen, nach Kairo zu fahren, wo europäische Waren leicht zu bekommen sind. Doch er weigerte sich starrsinnig, so daß ich schließlich meiner Freundin Mrs. Wilson telegraphieren mußte und nur hoffen konnte, sie würde in der Lage
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