Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
sie auf Trab und vom Grab fern.«
»Ganz bestimmt«, pflichtete ich ihm bei. »Wie lang ist das Manuskript – über sechshundert Seiten? Und deine Handschrift, mein Liebling … Eine ausgezeichnete Idee.«
»Also ist es beschlossen. Morgen fangen wir an.«
»Es wird nur noch ein paar Tage dauern, bis wir mit den bemalten Putzstückchen fertig sind, die wir im vorderen Gang gefunden haben«, sagte Walter. »Die meisten sind leider so klein, daß sie uns nicht weiterbringen, doch ich habe das Fragment einer Kartusche entdeckt, die dich bestimmt sehr interessieren wird, Radcliffe.«
»Das wird warten müssen, Walter. Ich brauche jede Arbeitskraft, ganz besonders deine.« Walter machte ein zufriedenes Gesicht, doch Emerson in seiner unverblümten Art mußte das Kompliment wieder zunichte machen, indem er hinzufügte: »Anscheinend hast du dein Wissen über Ausgrabungstechniken doch noch nicht völlig vergessen.«
Ich gähnte, und Emerson, der sich stets rührend um mein Wohlbefinden sorgt, sagte, nun etwas freundlicher:
»Bist du müde, Peabody? Ja, es ist Zeit, daß wir alle zu Bett gehen.«
»Wahrscheinlich möchtest du bei Morgengrauen aufstehen«, meinte ich. »Noch eine Frage, Emerson: Wo wollen wir unsere Funde aufbewahren? Im Salon stapeln sich schon die Tabletts und Körbe mit Schutt, und ich weigere mich entschieden, meine Kabine mit dieser abstoßenden Mumie zu teilen.«
»Vermutlich müssen wir sie herausholen«, gab Emerson zu. »Eigentlich wollte ich sie vorübergehend im Vorraum lagern, aber sie stinkt so bestialisch, daß sie die ganze Luft verpesten würde. In der Nähe gibt es jede Menge verlassener Gräber; wir werden einfach einige davon benutzen. Und unser streng riechender Freund bekommt sein eigenes Quartier.«
Ich verließ als letzte das Deck. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ich glaubte zu sehen, daß sich am hinteren Ende der Reling ein dunkler Schatten bewegte. Es war, als habe die Gestalt dort gehangen wie eine riesige Fledermaus, um dann lautlos nach unten zu verschwinden.
Vermutlich habe ich bereits erwähnt, daß das Oberdeck direkt über den Kabinen lag. Und die Kabine unterhalb der besagten Stelle wurde von Ramses und David bewohnt.
Am nächsten Tag war ich nicht als einzige schon vor Morgengrauen auf den Beinen. Walter saß im Salon und kramte im Lampenlicht zwischen den Putzfragmenten herum. Als ich die Tür öffnete, blickte er mit schuldbewußter Miene auf.
»Ach, du bist es, Amelia. Ich habe mir gedacht, ich könnte vor dem Frühstück noch ein paar Minuten arbeiten. Ich hätte nie gedacht, eine solche Kartusche wie die, auf die ich gestern abend zu sprechen kam, hier zu finden. Meiner Ansicht nach trägt sie den Namen von …«
»Das Frühstück ist serviert«, hörte ich Emersons Stimme hinter mir. »Schließ das Tablett in den Schrank ein, Walter, und komm mit nach oben.«
Schweigend saßen Emerson und ich da und warteten auf die anderen. Wir sahen zu, wie der Himmel heller wurde und das Licht langsam über die Abhänge der Klippen im Westen wanderte. Emerson stieß einen Seufzer aus.
»Allmählich kommen mir Zweifel, Peabody. Hast du schon daran gedacht, daß ich vielleicht genau das tue, was mein unbekannter Gegner will?«
»Selbstverständlich habe ich schon daran gedacht. Der gestrige Überfall auf uns war riskant und ein Spiel mit dem Feuer, falls er tatsächlich darauf abzielte, sich Zugang zur Grabkammer zu verschaffen. Unser Widersacher wird wohl ungeduldig. Wenn wir die Stufen freilegen, ersparen wir ihm eine Menge Arbeit.«
»Ich kann es nicht leiden, wenn man versucht, mich hinters Licht zu führen oder in eine bestimmte Richtung zu drängen«, murmelte Emerson.
»Das weiß ich; doch ich sehe im Augenblick keine andere Möglichkeit.«
Als Mahmud mit dem Frühstück erschien, brachen wir unser Gespräch ab. Bald darauf gesellte sich Ramses zu uns. Er war so klug, Emerson zuerst eine Tasse Kaffee trinken zu lassen, ehe er ein Thema zur Sprache brachte, das seinen Vater sicher verärgern würde. Wir erörterten es immer noch, als sich der Rest der Familie einfand.
»Ramses hat recht, Emerson«, sagte ich. »David sollte uns begleiten.«
»Ich werde ein Auge auf ihn haben«, meinte Evelyn mit Nachdruck. »Dann kann er euch nicht beobachten.«
»Kannst du mir auch Miss Marmaduke vom Leib halten?« fragte Emerson bescheiden. »Ich hatte heute morgen keine Zeit mehr, ihr abzusagen, und außerdem muß ich erst eine dieser verflixten
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