Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
wissen, was er dir so zärtlich ins Ohr flüsterte«, entgegnete mein Mann.
»Er hat nicht geflüstert, und zärtlich war es auch nicht. Allerdings sehr aufschlußreich. Ich hatte eigentlich gedacht, daß er und Gertrude zusammenbleiben wollen.«
»Du hast dich geirrt, Amelia. Das kann gelegentlich vorkommen.«
Mir war bereits aufgefallen, daß Walter einen kränklichen Eindruck machte. Doch ich hatte es vor Sir Edwards besorgter Äußerung nicht weiter ernst genommen. Die körperliche Anstrengung, die schlechte Luft und der üble Gestank, der vom Fuße der Treppe hinaufstieg, zehrten selbst an meinen Kräften. Nach einem Bad und in sauberen Kleidern sah mein Schwager bedeutend besser aus. Aber als wir uns zu einem frühen Abendessen versammelten, betrachtete ich ihn noch einmal gründlich, und das Ergebnis meiner Beobachtungen gefiel mir gar nicht. Ich behielt es für mich, bis Emerson verkündete, er werde von nun an die Nächte am Grab verbringen, und Walter darauf bestand, diese Pflicht mit ihm zu teilen.
»Bestimmt möchtest du nicht jede Nacht fern von … fern vom Boot verbringen«, sagte er, wobei er sorgfältig meinem Blick auswich. »Wir werden uns abwechseln, Radcliffe, so wie früher.«
»Ich verstehe nicht, warum überhaupt einer von euch dort herumsitzen muß«, wandte ich ein. »Abdullah wird sich kein zweites Mal überlisten lassen. Und die Annahme, daß die Anwesenheit eines einzigen Engländers mehr verhindern kann als die von fünf treuen Ägyptern, ist nichts weiter als westliche Arroganz.«
Ich hatte gehofft, sie damit überzeugen zu können, denn ich wollte nicht aussprechen, daß Walter meiner Ansicht nach mit dieser Aufgabe überfordert war – das hätte nur seine Entschlossenheit gesteigert, mir das Gegenteil zu beweisen. Emerson jedoch ahnte nichts von meinem geschickt eingefädelten Plan und durchkreuzte ihn, indem er laut widersprach, er habe nicht Engländer im allgemeinen, sondern insbesondere sich selbst gemeint.
Also sah ich mich schließlich doch gezwungen, Walter zu sagen, er sei im Begriff, sich zu übernehmen. Natürlich stritt Walter das entrüstet ab, und ich schickte ihn sofort zu Bett.
Nachdem Emerson losgegangen war, um Miss Marmaduke das Manuskript zu bringen und danach am Grab zu wachen, kehrte ich in den Salon zurück. Ich war allein; Nefret und Ramses saßen in Davids Zimmer – wahrscheinlich gaben sie ihm Unterricht in Englisch, Althebräisch oder Astronomie –, und Evelyn brachte Walter das Essen ans Bett. Eigentlich hatte ich mich mit meiner Übersetzung ablenken wollen, doch ich konnte mich nicht konzentrieren, und schließlich gab ich es auf. Ich betrachtete den Mond, der gerade über den schattenhaft wirkenden Klippen aufging, und versuchte, nicht an Emerson zu denken.
Ich hatte mit Ibrahim (einem von Abdullahs Neffen oder Vettern, seine Familienverhältnisse waren einfach zu verwirrend) vereinbart, er solle in einiger Entfernung zum Grab Posten beziehen und mir sofort Meldung erstatten, wenn etwas Außergewöhnliches geschah. Danach fühlte ich mich ein wenig erleichtert, allerdings nur unerheblich. Unsere Gegner waren schlau und skrupellos.
Die Tür ging auf, und Evelyn schlüpfte herein. »Ich möchte dich nicht bei der Arbeit stören«, sagte sie leise.
»Dich wollte ich am allerliebsten sehen«, antwortete ich und bemerkte zu meiner Überraschung, daß es stimmte. »Oder wenigstens …«
»Ich verstehe. Es ist wohl zwecklos, wenn ich dir sage, daß du dir keine Sorgen um ihn zu machen brauchst.«
»Ja. Hoffentlich hast du keine Angst um Walter. Ich glaube, er ist nur erschöpft.«
»Er schläft«, erwiderte Evelyn ausweichend. Sie setzte sich und strich ihren Rock glatt. Das Lampenlicht ließ ihr blondes Haar schimmern wie einen Heiligenschein. »Wie gerne würde ich etwas tun. Wenn ich nur ein Mann wäre!«
»Also, ich würde nicht behaupten, daß Männer sämtliche Vorteile auf ihrer Seite haben. Den Armen gebricht es stark an gewissen geistigen Fähigkeiten.«
Evelyns zusammengepreßte Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Die Allgemeinheit ist da aber ganz anderer Auffassung, Amelia. Heißt es nicht, daß Männer vom Verstand bestimmt werden und Frauen von irrationalen Gefühlen?«
»Und wer bitte sagt das? Die Männer, meine Liebe – nur die Männer! Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Seit Wochen schon versuche ich, Emerson dazu zu bringen, die Angelegenheit logisch zu betrachten. Doch er ignoriert die Fakten und sperrt
Weitere Kostenlose Bücher