Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
brauchten.
Emerson hatte recht. Die Pflicht riß mich – wenn auch mit einem Widerstreben, das ich kaum in Worte fassen kann – von ihm fort.
Es war eine schwere Verantwortung. Möglicherweise war es diese Erkenntnis, die mir meine geliebte Familie an jenem Abend besonders schutzlos erscheinen ließ. Ramses und Nefret, strotzend von jugendlichem Übermut; Evelyn, so zart und zerbrechlich wie ein junges Mädchen in ihrem gerüschten Teekleid; Walter – hager und vom jahrelangen Sitzen über seinen Büchern kraftlos geworden –, der ängstlich seine Brille zurechtrückte. Und natürlich Bastet, die Katze, die sich diesmal Ramses’ Schoß als Sitzplatz ausgesucht hatte. Doch eigentlich machte ich mir um die Katze am wenigsten Sorgen. Sie war vernünftiger als meine beiden Kinder, und das galt auch für Anubis, der Emerson begleitet hatte.
Auch David gehörte mit zur Partie, wenn auch nicht freiwillig, wie ich annahm. Er hatte sich in eine Ecke zurückgezogen, wo er mit überkreuzten Beinen saß und an einem Stein herumhämmerte. Es war nicht Nefrets Porträt, sondern ein kleineres, flacheres Stück, das allmählich die Form eines Uschebtis bekam. Vermutlich arbeitete er daran, um seinen Händen etwas zu tun zu geben, so wie eine Frau stickt oder näht.
Beim Abendessen hatten wir uns über archäologische Themen unterhalten. Erst nachdem die Teller abgeräumt worden waren, brachte Walter, ein wenig unvermittelt, einen anderen Punkt zur Sprache. »Warum habt ihr beide, Radcliffe und du, mir nichts von eurer Unterredung mit Riccetti erzählt?« wollte er wissen.
»Du erwähnst seinen Namen, als würdest du ihn kennen«, gab ich zurück und hoffte, ich bräuchte mir keine Ausrede einfallen zu lassen.
»Ich bin ihm einmal begegnet. Es ist zwar schon viele Jahre her, doch dank der Geschichten, die man sich über ihn erzählt, ist er kein Mensch, den man so rasch vergißt. Verflixt, Amelia, du hattest kein Recht, mir das zu verheimlichen. Wenn ich gewußt hätte, daß er wieder im Geschäft ist …«
»Hättest du versucht, mich nach Hause zu schicken«, unterbrach Evelyn.
»Ich hätte dir gar nicht erst gestattet, nach Ägypten zu reisen.«
»Gestattet?« Eigentlich hätte Evelyns Ton Walter eine Warnung sein sollen. Aber da er ein Mann war, verlor er allmählich die Geduld.
»Du hast ja keine Ahnung, wozu ein Mensch wie Riccetti fähig ist. Bis jetzt bist du noch nie mit Gewalt konfrontiert worden.«
»Offenbar hast du vergessen, unter welchen Umständen wir uns kennengelernt haben.« Evelyns Stimme war lauter geworden.
Ihr Einwand war berechtigt, was Walter natürlich noch mehr auf die Palme brachte. »Anscheinend glaubst du, dich und mich mit diesem albernen Sonnenschirm verteidigen zu können, den du schon seit Jahren im Schrank versteckst. Aber ich wußte die ganze Zeit über, wo er war. Da es dir wohl Spaß machte, die Heldin zu spielen, sah ich keinen Grund, Einspruch zu erheben …«
»Ach du meine Güte«, fiel ich ihm ins Wort. »Bitte, Walter – Evelyn – nicht vor den Kindern.«
Die beiden waren zu erbost, um auf mich zu hören. Evelyn war aufgestanden, und ihr Atem ging so rasch, daß die Rüschen an ihrem Ausschnitt zitterten. »Du hast keinen Einspruch erhoben? Wie reizend und großzügig von dir! Mir mein Spielzeug zuzugestehen, als ob ich ein Kind wäre …«
»Du benimmst dich wie ein Kind!« brüllte Walter. »Du vernachlässigst deine Pflichten …«
»Und was ist mit deinen Pflichten?«
Meiner Ansicht nach war der Streit nun weit genug gegangen. Wahrscheinlich konnte er zwei Menschen, die sonst nur selten ihre Gefühle zeigten, nur guttun, doch Nefret und Ramses benötigten keine weitere Lektion in schlechtem Benehmen. Außerdem näherte sich jetzt David, sein meißelähnliches Messer in der Hand, und die Blicke, die er Walter zuwarf, gefielen mir gar nicht.
»Es reicht!« rief ich. »Entschuldigt euch sofort beieinander. Und«, so fügte ich hinzu, »ich verlange von dir ebenfalls eine Entschuldigung, Walter, und zwar wegen deiner abfälligen Bemerkung über Sonnenschirme.«
Wie ich beabsichtigt hatte, löste meine kleine scherzhafte Bemerkung die Spannung. Die von mir geforderten Bitten um Verzeihung wurden vorgebracht (wenngleich, wie ich zugeben muß, nicht sonderlich überzeugend). Evelyn nahm wieder Platz, und Walter wandte sich mit einem reumütigen Lächeln an mich.
»Ich bitte dich um Entschuldigung, liebe Amelia.«
»Ich verzeihe dir. Wir sind alle aufgeregt und
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