Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Deckel noch an Ort und Stelle lag.
Eine bedrückte Schar versammelte sich um die Picknickkörbe. Beim Anblick unserer niedergeschlagenen Mienen hätte man glauben können, daß wir eine geplünderte Grabkammer gefunden hätten. Doch in Wahrheit hatten wir eine Entdeckung gemacht, nach der die Geschichte der Ägyptologie neu geschrieben werden mußte, die aber in ihrer Bedeutsamkeit schwer auf unseren Schultern lastete – besonders auf Emersons. Das Gesicht in die Hände gestützt, saß er da.
Nachdem ich Tee und belegte Brote verteilt hatte, tippte ich ihm auf die Schulter.
»Käse oder Gurke, Emerson?«
Als er die Hände sinken ließ, war sein Gesicht bleich.
»Ich bringe es nicht über mich, Peabody.«
»Ich weiß, Liebling«, sagte ich mitfühlend. »Das habe ich mir schon gedacht.«
»Ich gehe ein Risiko ein.« Er ergriff meine Hände und drückte sie fest. Wäre es nicht ein solch bewegender Moment gewesen, ich hätte laut aufgeschrien. »Je länger wir warten, bis wir die Grabbeigaben und vor allem die Mumie entfernen, desto größer wird die Gefahr eines Überfalls. Falls du durch meine berufliche Verbohrtheit zu Schaden kommen solltest …«
Die Stimme versagte ihm, und er blickte mir in die Augen.
Es war, als wären wir allein – »niemand hört es, und niemand sieht es«, wie es in einem alten ägyptischen Sprichwort heißt.
Ich wurde von Gefühlen überwältigt. Die anderen schwebten ebenso in Gefahr wie ich, doch meine Sicherheit lag ihm am meisten am Herzen und ließ ihn zögern.
In unserer Ehe hatte es viele bewegende Augenblicke gegeben, doch keiner hatte mich stärker ergriffen als dieser.
Deshalb wählte ich meine Worte mit Bedacht.
»Du meine Güte, Emerson, was für ein Theater um nichts! Wenn du gegen unser Berufsethos verstoßen würdest, wäre ich gezwungen gewesen, ein ernstes Wörtchen mit dir zu reden. Und jetzt geh und sag Abdullah, du hättest deine Meinung geändert.«
Emerson richtete sich auf und holte tief Luft. Seine Augen funkelten, sein Mund verzog sich zu einem Lä cheln, und sein Gesicht war wieder das des begeisterten jungen Wissenschaftlers, der damals in der Totenstadt von Amarna mein Herz und meine bedingungslose Unterstützung gewonnen hatte. Nachdem er meine Hände noch einmal schmerzhaft gedrückt hatte, ließ er sie los und sprang auf.
»Du hast recht, Peabody. Heb mir bitte ein paar Brote auf.«
Ich rieb mir die tauben Finger und sah meine Begleiter an, die anscheinend aufmerksam unser Gespräch verfolgt hatten. Den meisten Gesichtern entnahm ich Zustimmung und Verständnis. Nur Walter blickte finster drein, und Sir Edward starrte mich entgeistert an.
Er ergriff auch als erster das Wort: »Verzeihen Sie, Mrs. Emerson, aber ich fürchte, ich habe Sie nicht richtig verstanden. Falls es nicht um persönliche Dinge geht, die Sie lieber nicht erörtern möchten …«
»Mein Mann und ich pflegen persönliche Dinge nicht in der Öffentlichkeit zu erörtern, Sir Edward.« Ich milderte diese angemessene Rüge mit einem freundlichen Lächeln und einer Erklärung ab. »Eigentlich hatten wir beabsichtigt, das Grab so schnell wie möglich auszuräumen, um Grabräubern zuvorzukommen. Das wäre auch kein Problem gewesen, wenn es, wie die meisten anderen, bis auf ein paar kleine Gegenstände leer gewesen wäre.
Jetzt allerdings … Der Schutt, den Sie gesehen haben, Sir Edward, besteht aus den Überresten der königlichen Grabbeigaben. Einige waren aus Holz gefertigt, das vermodert ist, so daß sich der Inhalt überall verstreute. Anscheinend ist ein Teil der Decke eingestürzt, wodurch einige weitere Kunstgegenstände zerschmettert wurden.
Wenn wir nun alles einfach in Körbe schaufeln, gibt es keine Hoffnung mehr, die ursprünglichen Formen zu rekonstruieren. Doch diese Entdeckung ist einmalig – das erste und vielleicht einzige Grab, das zumindest einen Teil der ursprünglichen Ausstattung enthält. Es wäre ein Verbrechen gegen die Wissenschaft, auch nur die kleinste Kleinigkeit zu übergehen. Eine fachgerechte Bergung kann Tage, ja Monate in Anspruch nehmen, möglicher weise sogar Jahre.«
»Ja, ich verstehe. Ich habe von den hohen Ansprüchen des Professors gehört.« Doch er runzelte noch immer die Stirn.
»Seien Sie offen, Sir Edward«, forderte ich ihn auf.
»Wenn Sie noch Fragen haben, scheuen Sie sich nicht, sie zu stellen. Ich werde Ihnen gern alles erklären.«
»Nun denn, Ma’am, da Sie es mir gestatten, werde ich frei von der Leber weg sprechen.
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