Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
erstreckten sich kahle, braune Abhänge.
»Dank Mariettes Unfähigkeit können wir die genaue Lage nur vermuten«, fuhr Emerson fort. »Die Mumien und Grabbeigaben befanden sich noch in den Särgen. Wir werden nie erfahren, warum sie dort belassen und nicht in ein Versteck – wie etwa nach Deir el Bahri – geschafft worden sind. Doch sie sind dreitausend Jahre lang ungestört geblieben. Bis Mariette, dieser Hornochse …«
»Du hast deine Meinung über diesen Herrn bereits zum Ausdruck gebracht, Emerson«, unterbrach ich ihn.
»Du glaubst also, daß die eigentlichen Gräber hier ganz in der Nähe sind?«
»Nicht notwendigerweise.«
»Aber warum … Nein, sag nichts. Sollten wir nicht zum Boot zurückkehren und unser Gespräch dann fortsetzen?«
»Unsinn, Peabody, es ist erst halb eins.«
Eine weitere Debatte wurde durch die Ankunft eines Reiters verhindert. Erfreut – wenn auch nicht überrascht – erkannte ich Howard Carter.
»Ich habe mir gedacht, daß Sie es sind, als ich Sie von weitem bei Deir el Bahri gesehen habe!« rief er aus, stieg ab und schüttelte uns allen die Hand. »Heute morgen habe ich von Ihrer Ankunft erfahren. Und da Sie nicht bei mir hereingeschaut haben, habe ich mich auf die Suche nach Ihnen gemacht.«
»Das freut mich aber«, antwortete ich. »Wir wollten gerade zu unserer Dahabije zurückkehren. Möchten Sie mit uns zu Mittagessen?«
Er ließ sich leicht überreden, und Nefret hatte nichts dagegen einzuwenden, als er ihr sein Pferd anbot. Sie hatte im vergangenen Jahr reiten gelernt. Mit ihren schlanken, gebräunten Händen, die locker die Zügel hielten, und ihren rotgoldenen Haarlocken über den Schläfen sah sie wirklich reizend aus. Howard bestand darauf, zu Fuß neben ihr herzugehen, obwohl ich ihm versicherte, daß dies überflüssig sei. Nefret übte eine magische Wirkung auf sämtliche Lebewesen aus – auch auf Menschen. Obwohl Howard ihr zuvor erst einmal begegnet war, benahm er sich in ihrer Gegenwart völlig ungezwungen.
»Ich habe mein Amt am 1. Januar angetreten«, erklärte er nachdem ich ihm zu seiner Ernennung gratuliert hatte.
»Aber mein neues Haus ist noch nicht fertig. Deshalb hat mir Monsieur Naville gütigerweise das Expeditionshaus der Ägyptischen Forschungsgesellschaft zur Verfügung gestellt.«
»Hmpf«, knurrte Emerson, dessen Verhältnis zu Monsieur Naville (wie das Verhältnis zu den meisten Archäologen) ziemlich gespannt war. Doch ehe er sich weitschweifig über besagten Herrn auslassen konnte, sagte ich: »Es ist eine große Verantwortung, Howard, und Ihnen steht eine Menge Arbeit bevor.«
»Wie ich fürchte, ist sie von einem Menschen allein gar nicht zu bewältigen«, gab Howard zu. »Doch Monsieur Maspero war so freundlich, mir sein ganzes Vertrauen und seine Unterstützung zuzusichern. Er war vor kurzem hier. Schade, daß Sie ihn nur um wenige Tage verpaßt haben.«
»Wirklich ein Jammer«, meinte Emerson.
»Das Gebiet ist riesig«, fuhr ich fort. »Und soweit ich informiert bin, sind Sie jetzt nicht nur für den Erhalt und Schutz der Baudenkmäler, sondern auch für Ausgrabungen und die Überwachung der archäologischen Aktivitäten in dieser Region verantwortlich.«
»Ihre Aktivitäten werde ich bestimmt nicht überwachen«, antwortete Howard mit einem Lächeln. »Sie haben bestimmt keine Aufsicht nötig, vor allem nicht von mir. Aber wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, lassen Sie mich es nur wissen. Werden Sie in dieser Saison im Friedhof aus der Siebzehnten Dynastie arbeiten?«
Dieses Thema beschäftigte uns, bis wir die Amelia erreichten, wo Abdullah und Daoud uns verließen. Emerson unterbrach seinen Vortrag lang genug, um Miss Marmaduke vorzustellen. Sie erwartete uns im Salon, hatte Emersons Papiere sortiert und fragte, was sie nun tun solle.
»Wenn Sie heute nachmittag keinen Auftrag für mich haben, würde ich gern einen kleinen Spaziergang machen«, sagte sie zögernd. »Ich würde so gern die wunderbaren Tempel und die Kolosse sehen.«
»Aber Sie waren doch schon einmal hier, nicht wahr?« fragte ich. »Mit einer Reisegesellschaft von Cook’s?«
»Ja … ja, natürlich. Ich meinte, ich möchte sie noch einmal sehen. Bei solchen Besichtigungen hat man nie genug Zeit.«
»Du meine Güte, Emerson, Sie sind ja ein richtiger Sklaventreiber«, lachte Howard. »Eine begeisterte Ägyptenliebhaberin, die nicht einmal auf Entdeckungsreise gehen darf? Kämpfen Sie für Ihre Rechte, Miss Marmaduke. Sie werden in Mrs. Emerson
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