Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
kaltem Tee herum, die ich am Gürtel hängen hatte.
Schatten gab es fast keinen. In Drah Abu’l Naga findet man keine überhängenden Klippen wie anderswo in den Bergen von Theben; sie erheben sich sanft bis zu einer Höhe von etwa einhundertsechzig Metern über der Ebene. Ihre schartigen Wände sind mit dunklen Öffnungen durchlöchert – den Eingängen zu Gräbern, inzwischen leer und längst aufgegeben, viele mit Schutt und Sand gefüllt. Zwischen ihnen schlängeln sich Pfade wie bleiche Bänder, die auf dem dunklen Gestein gut sichtbar sind. Emerson hielt sich die Hand schützend über die Augen.
»Diese Säulen da im Süden gehören zum Tempel von Sethos I., Nefret. Wie werden sie uns ein andermal ansehen; es gibt hier einiges zu besichtigen, allerdings aus einer viel späteren Epoche als der, die uns im Moment interessiert. Und hier« – er zeigte auf die Stelle, wo die Hügel in die ebene Wüste abfielen – »jenseits dieser Felskante liegt die Straße, die ins Tal der Könige führt.«
»Reiten wir dorthin?« fragte Nefret begeistert. »Ich habe die Königsgräber noch nie gesehen.«
»Heute nicht.«
Es gelang mir, einen erleichterten Seufzer zu unterdrücken. Allmählich bekam ich Hunger, und die wenigen Schlucke Tee hatten meinen Durst nicht stillen können.
Emerson holte ein Papierknäuel aus der Tasche und glättete es. Anscheinend handelte es sich um eine grob gezeichnete Karte oder einen Lageplan. Wir warteten auf eine Erklärung, doch statt uns diesen Gefallen zu tun, brummte Emerson nur »Hmpf« und marschierte los.
Wir folgten ihm. Abdullah zerrte die Esel hinter sich her. Nach einer Weile blieb Emerson stehen. »Hmpf«, brummte er wieder.
»Emerson, hör auf zu grunzen und mach endlich den Mund auf!« rief ich aus.
»Du brauchst nicht so zu schreien, Peabody«, schimpfte Emerson. »Ich versuche, die Stelle zu finden, wo Mariette den Sarg der Königin Ahhotep entdeckt hat. Doch ich befürchte, das ist unmöglich, denn dieser verdammte Idiot …«
»War das die Dame mit dem schönen Schmuck?« fragte Nefret. »Lag er in ihrem Sarg?«
Sie wußte, daß dies der Fall gewesen war, und versuchte nur, Emerson wieder zum ursprünglichen Thema zurückzuführen. Wie ich zugeben muß, gelang ihr das besser, als ich es gekonnt hätte.
»Ganz richtig, mein Kind. Du kennst natürlich die Geschichte.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, fing er an zu erzählen: »Es war wirklich eines der merkwürdigsten Ereignisse in der Geschichte der Archäologie. Mariette, dieser verdammte – schon gut, Peabody, ich gebe zu, der Kerl verdient Anerkennung, weil er die Antikenverwaltung gegründet hat. Allerdings lag ihm mehr daran, Eindruck bei adeligen Besuchern zu schinden, als eine anständige Ausgrabung durchzuführen. Während er gerade in Kairo das schöne Leben genoß stießen seine unbeaufsichtigten Arbeiter auf den Sarg mit der Mumie und dem Schmuck. Selbst als man Mariette benachrichtigte, brach er nicht etwa sofort nach Luxor auf. Der verdammte Narr schrieb statt dessen einen Brief, und bis dieser eintraf, hatte der Bezirksgouverneur schon den Sarg in die Hände bekommen und ihn öffnen lassen. Wahrscheinlich war die Mumie, wie die meisten aus dieser Zeit, in keinem guten Zustand. Also warf der Gouverneur die Knochen und Wickeltücher einfach auf den Müll und schickte den Schmuck zum Khedive nach Kairo. Als Mariette endlich auffiel, daß etwas fehlte, schaffte er es, das Boot abzufangen und den Schmuck zu retten.«
»Ein Wunder, daß er nicht gestohlen wurde!« rief Nefret aus. »Wie konnte Mariette nur so dumm sein? Und trotzdem ist er einer der angesehensten Ägyptologen.«
»Ein derartiges Vorgehen war vor fünfzig Jahren nur allzu üblich«, erklärte Emerson. »Peabody würde jetzt wahrscheinlich sagen, daß man seinen Vorgängern für ihre Leistungen Achtung schuldig ist. Trotzdem begreife ich nicht, daß irgend jemand, egal in welcher Zeit, so leichtgläubig war. Wie kann man annehmen, daß eine Horde verarmter, ungebildeter Arbeiter der Versuchung … Nun gut. Aber das Interessanteste am Sarg der Königin und auch an dem von König Kamose, der einige Jahre zuvor unter ähnlichen Umständen entdeckt wurde, ist, daß man sie nicht in Gräbern oder Grabkammern fand. Sie lagen unter dem Schutt und Geröll am Fuße dieser Hügel. Irgendwo in der Gegend, wo wir uns jetzt befinden.« Er vollführte eine ausladende Handbewegung. Offenbar hatte hier noch niemand gegraben:
Rechts und links von uns
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