Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Davids Arm. Ramses war sprachlos – wahrscheinlich vor Entrüstung. David schien noch mehr überrascht. Er blickte von den schlanken Fingern, die blaß auf seiner Haut lagen, hin zu ihrem bezaubernden Lächeln, und einen Augenblick lang … Doch vermutlich hatte ich mir das nur eingebildet, denn er stürmte an Nefret vorbei hinaus und stieß mit Hamed zusammen, der ihm einen erbosten Wortschwall nachrief.
»Sieh dir das an, Peabody«, sagte Emerson, nahm eine der irdenen Lampen und näherte sich der Wand. »Der alte Schurke hat sein Haus genau an ein Grab aus der Achtzehnten Dynastie gebaut. Der Korridor zu diesem Raum wurde früher von Dieben benutzt, gewiß einem von Hameds Vorfahren.«
»Woher weißt du, daß es sich um die Achtzehnte Dynastie handelt?« fragte ich neugierig. »Von den Malereien ist doch fast nichts übrig.«
»Die meisten Privatgräber hier stammen aus dieser Zeit. Und außerdem kann man hie und da ein paar Umrisse ausmachen.« Er hob die Lampe. »Offenbar ist es eine Bankettszene, ähnlich denen in den Gräbern von Ramose und Nebamon. Das Grab, in dem wir stehen, wurde niemals vollendet. Sieh her, die hintere Wand ist noch rauh und nicht als Untergrund für die Zeichner und Maler geglättet oder verputzt worden. Hamed hat den ursprünglichen, engen Gang verbreitert. Wahrscheinlich führte er …«
Wir alle lauschten aufmerksam, denn es ist ein großes Privileg, einen Fachmann wie Emerson über die Methodenlehre sprechen zu hören. Als er sich allerdings der schartigen Öffnung in der Wand näherte, stieß Hamed einen Protestschrei aus.
»Vater der Flüche, du gehst zu weit. Du befindest dich in einem Privathaus. Der … die Frauen …«
»Du hältst deine Frauen in diesem finsteren Loch?« wollte Emerson wissen. »Wie ich schon sagte, Peabody: Dieser Gang sollte eigentlich in die nächste aus dem Felsen gehauene Kammer führen, doch er wurde nie fertiggestellt. Jetzt dient er Hamed als Vorratskammer.«
Der Raum war etwa drei Quadratmeter groß, einen Meter fünfzig hoch und mit Skulpturen gefüllt. Steinerne Gesichter starrten uns entgegen; einige waren menschenähnlich, andere groteske Nachbildungen von Tieren: Falken- und Katzenköpfe, Ibisse und Krokodile. Aus der dunklen Augenhöhle einer widderköpfigen Sphinx blitzte ein Glimmerstückchen im Gestein auf.
»Das Lager des Bildhauers«, stellte Emerson fest, während Hamed fluchend mit den Füßen aufstampfte.
»Ja, es sind Kopien«, murmelte Hamed. »Ist das etwa ein Verbrechen?«
»Nein, solange du sie nicht als echt verkaufst.« Er zögerte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. »Komm, Peabody.«
Erst als wir draußen vor der Tür standen, fragte ich ihn: »Findest du nicht, daß wir ein wenig plötzlich aufgebrochen sind, Emerson? Warum bist du nicht geblieben, bis du dein Ziel erreicht hattest? Denn ich kann mir nicht vorstellen …«
»Nein, mein Ziel habe ich nicht erreicht. Aber es wäre zwecklos gewesen, die Angelegenheit weiterzuverfolgen. Ich werde noch einmal wiederkommen müssen. Ohne euch«, fügte Emerson hinzu und bedachte uns alle mit einem finsteren Blick, »hätte ich mein Vorhaben genausogut lauthals in Gurneh verkünden können.«
»Was du gerade im Augenblick tust«, stellte ich fest. Während wir im Haus waren, hatten sich einige neugierige Müßiggänger zusammengerottet. Nefret wurde von zerlumpten Jungen bedrängt, die ein Bakschisch forderten.
»Ach, verdammt!« knurrte Emerson. Er fuhr mit der Hand in die Tasche, zog ein paar Münzen heraus und warf sie in die Luft.
Bei jedem anderen Menschen wäre das ein folgenschwerer Fehler gewesen – denn nur wenn man nichts gibt, verhindert man, daß die Bettelei weitergeht –, doch Emerson war in Gurneh selbst den Kindern gut bekannt. Nachdem sich die Zuschauer um die Münzen gebalgt hatten, zerstreuten sie sich widerwillig, und wir traten unseren Rückweg an.
»Nun, Abdullah«, wandte sich Emerson mit einem gedämpften Knurren an seinen Vorarbeiter, »warum zum Teufel hast du mir nicht vorher verraten, daß einer deiner Nachkommen für den alten Schurken arbeitet? Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich anders vorgegangen.«
»Ich hatte keine Ahnung, daß du zu ihm willst«, murmelte Abdullah. »Ich dachte, du wolltest zu unserem Haus.«
»Das will ich auch. Also gehen wir jetzt dorthin. Nun, Abdullah, wer ist der Junge?«
»Der Sohn meiner Tochter.«
»Wo ist seine Mutter?« fragte ich.
»Tot.«
»Und sein Vater?«
»Tot.«
»Mein Gott,
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