Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Vermutlich gibt es keinen Grund, weshalb ich es Ihnen nicht erzählen sollte. Vor kurzem hat mir ein reicher amerikanischer Tourist einige Kunstgegenstände gezeigt, die er in Luxor erworben hatte. Diese weckten in mir den Verdacht, daß irgendwo ein gut ausgestattetes, wichtiges Grab entdeckt worden war. Bitte«, sagte er beim Anblick von Emersons Gesichtsausdruck, »fragen Sie mich nicht nach dem Namen des Gentleman. Ich hoffe, daß ich ihn dafür interessieren kann, unsere Arbeit hier zu unterstützen, und ich möchte ihn nur ungern … äh … verschrecken.«
»Sie meinen bedrohen«, stellte ich fest, während Howard entrüstet zu stottern anfing. »Wir werden Sie nicht zwingen den Namen des Gentleman preiszugeben, Howard. Aber Sie können uns doch verraten, wo er die Kunstgegenstände erworben hat.«
»Ihnen kann ich einfach nichts abschlagen, Mrs. Emerson. Er hat sie bei Ali Murad gekauft. Als amerikanischer Konsul fühlt Murad sich sicher. Von ihm werden Sie nichts erfahren.«
»Glauben Sie?« Emerson fletschte die Zähne – aber es sah ganz und gar nicht aus wie ein Lächeln.
Nach dem Essen ritten wir mit Howard nach Deir el Bahri zurück. Wir blieben eine Weile, bewunderten den Tempel und sprachen über den bemerkenswerten Werdegang seiner Erbauerin, Königin Hatschepsut, die sich selbst zum Pharao ernannt hatte. Bei meinem ersten Besuch hier hatte man wegen des riesigen Sandhaufens und des Turms eines koptischen Klosters, nach dem der Ort benannt war (Deir el Bahri heißt »Kloster des Nordens«), nur einige wenig beeindruckende Bruchteile des Gebäudes sehen können. Einige Jahre Arbeit der Ägyptischen Forschungsgesellschaft hatten sämtliche Schichten und auch das Kloster beseitigt und einen der schönsten und ungewöhnlichsten Tempel Ägyptens freigelegt – die Säulen erheben sich stufenweise in Richtung der schroffen Klippen, die sie umgeben. Eine Rampe führt in das – aus dem Felsen gehauene – Allerheiligste.
»Meiner Ansicht nach«, sagte ich, als wir vor einigen Reliefs standen, die die Geburt der Königin zeigten, »sollte die Suffragettenbewegung Hatschepsut zu ihrer Schutzpatronin ernennen. Kühl und ohne Blutvergießen setzte sie ihren Neffen Thutmosis III. ab und ernannte sich zum Pharao. Sie war die erste …«
Ramses räusperte sich. »Entschuldige, Mutter …« Ich erhob die Stimme »… und größte der bemerkenswerten Königinnen der Achtzehnten Dynastie, die in direkter Linie von Tetischeri selbst abstammten. Damals, und das sagen auch alle anerkannten Wissenschaftler, wurde die Königswürde nach der weiblichen Erbfolge, also von Mutter zu Tochter weitergegeben. Der König hatte kein Recht auf die Herrschaft, außer als Ehemann der Thronfolgerin.«
»Daher die vielen Geschwisterehen in der königlichen Familie«, meinte Nefret. »So betrachtet, klingt es sehr vernünftig.«
»Hmpf«, brummte Ramses skeptisch.
Nefret lachte. »Ach, Ramses, ich wußte ja gar nicht, daß du so ein Romantiker bist. In Königshäusern hat eine Ehe nichts mit Liebe zu tun, nicht einmal in unserem zivilisierten Europa.«
Ich weiß nicht, ob Ramses durch ihr Lachen oder die schreckliche Anschuldigung, er sei romantisch, aus der Fassung gebracht wurde. Zornesröte überzog sein Gesicht.
»Verdammt, ich bin nicht …«
»Jetzt aber genug«, tadelte ich. »Nefret hat recht. In der ägyptischen Religion war die Prinzessin heilig, denn nicht der König war ihr Vater, sondern der Gott Amon selbst, wie uns diese Reliefs zeigen, vor denen wir gerade stehen. Hier seht ihr Hatschepsuts Mutter, die … äh … Amon begrüßt, der zu ihr gekommen ist, um … äh …«
Die Pfeife zwischen Emersons Zähnen knirschte. »Findest du nicht, daß Amon eine starke Ähnlichkeit mit Thutmosis II., dem Gatten der Königin, hat?«
»Zweifellos ist der Gott in den Körper des Königs geschlüpft«, gab ich zu.
»Ohne Körper wäre es ihm auch verdammt schwergefallen, seine Pflicht zu tun«, sagte Emerson.
Meiner Ansicht nach hatten wir jetzt lange genug über dieses Thema gesprochen. Nefret unterdrückte ein Lachen, und Gertrude war offenbar peinlich berührt.
»Hier«, fuhr ich fort, während ich die anderen weiterschob, »sehen wir die Ankunft der großen Obelisken für den Tempel der Königin in Karnak. Sie wurden für sie von Senmut, einem der begabtesten ihrer Untergebenen, der Priester des Amon war …«
»Und ihr Liebhaber«, unterbrach Nefret.
»Du meine Güte!« rief ich aus. »Woher weißt du
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