Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Abdullah«, stöhnte ich ungeduldig. »Müssen wir dir denn jedes Wort aus der Nase ziehen? Schon gut, ich glaube, ich verstehe. Du hast ihn David genannt, nicht Daoud. War sein Vater Christ – ein Kopte?«
»Er war ein Nichts!« brach es aus Abdullah heraus. »Christen glauben wenigstens an die Heilige Schrift, doch er hat sich der Trunksucht hingegeben und Gott verflucht.«
»Hmpf«, brummte Emerson. »Offenbar war er ein ziemlich vernünftiger … autsch!«
Ich hatte ihn nur leicht gekniffen. Emersons religiöse Einstellung ist eher unkonventionell. (Ketzerisch wäre vielleicht das bessere Wort.) Zwar hat jeder Mensch ein Recht auf Gewissensfreiheit, und ich würde Emerson die seine niemals streitig machen, aber es gibt Situationen, in denen es schädlich und überdies unhöflich ist, seine Ansichten so unverblümt zu äußern.
Abdullah trottete vor uns her und sprach über die Schulter gewandt mit uns: »Meine Tochter lebte hier bei ihrem Onkel. Er hatte eine Ehe für sie angebahnt – eine gute Partie, nach der jedes Mädchen sich die Finger geleckt hätte. Doch Michael Todros hat sie verführt, und als mein Bruder das herausfand, trug sie schon das Kind dieses Taugenichts unter dem Herzen. Welcher andere Mann hätte sie so noch genommen? Und sie …« Selbst jetzt noch fiel es ihm schwer, diese Worte auszusprechen. »Sie weigerte sich, ihn zu verlassen. Nachdem sie bei der Geburt gestorben war, wollte ich das Kind in meinem Haus aufnehmen, aber Todros gestattete es nicht. Und nun ist auch er tot, gestorben am Alkohol und am Rauschgift, mit dem Abd el Hamed ihn für Davids Arbeit bezahlt hat. Trotzdem will der Junge sich nicht vom Bösen abwenden. Todros hat ihn gelehrt, die Familie seiner Mutter zu hassen, und er bleibt hier, im Dorf seiner Väter, wo sie seine Schande täglich mitansehen müssen.«
»Sei nicht traurig, Abdullah«, sagte Nefret, die dicht hinter uns ging. »Wir holen ihn zurück.«
»Genau«, stimmte ich ihr zu.
»Hmpf«, brummte Ramses.
Abdullah hatte nicht übertrieben, als er gesagt hatte, daß sein abtrünniger Enkel ungebührlich nah bei seinen Verwandten lebte. Das Haus, das er und seine Männer gemietet hatten, lag am Rande des Dorfes, und von seiner Tür aus konnte man Hameds Anwesen sehen. Wir statteten unseren Leuten einen kurzen Besuch ab, um ihre Wohnverhältnisse in Augenschein zu nehmen. Aus Freundschaft und Pflichtgefühl betrachtete ich es als meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sie bequem untergebracht waren. Und da Männer ihre Bequemlichkeit nach dem Grad des Schmutzes und der Unordnung in ihrer Behausung beurteilen, konnte ich davon ausgehen, daß sie sich alle pudelwohl fühlten.
Nachdem wir gehorsam den angebotenen Tee und das Brot zu uns genommen hatten, bestiegen wir unsere Esel. »Da wir schon einmal hier sind, sollten wir uns ein wenig umsehen«, schlug Emerson vor. »So bekommt Nefret wenigstens die Gegend zu Gesicht. Sie war ja noch nie hier.«
»Die Adelsgräber«, meinte Ramses.
»Nein, das Wetter ist zu schön, um den Tag unter der Erde zu verbringen«, erwiderte Emerson in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Im westlichen Theben gibt es viele Sehenswürdigkeiten, doch ich wußte, was ihm im Kopf herumging; sein Blick hing an der Hügelkette im Norden – den braunen, kahlen Steilhängen von Drah Abu’l Naga.
Wir kamen am Tempel von Deir el Bahri vorbei, wo Emerson vom Esel stieg, um mit Abdullah und Daoud zu Fuß zu gehen.
Da ich gerade die wohlgeformte Gestalt meines Gatten bewunderte und überlegte, wo zum Teufel er wohl wieder seinen Hut verloren hatte, achtete ich nicht auf das eintönige Geplätscher von Ramses’ Stimme. Er ritt neben Nefret her.
Anscheinend hatten sie sich wieder versöhnt, was bestimmt daran lag, daß Nefret in ihrem Lerneifer bereit war, Ramses’ gönnerhaften Vortrag über sich ergehen zu lassen. Allerdings zweifelte ich nicht daran, daß er für seinen Hochmut irgendwann würde bezahlen müssen. Frauen haben da ihre Methoden.
Als wir anhielten, und ich mich schon fragte, ob wir heute noch ein Mittagessen bekommen würden, stand die Sonne hoch am Himmel. Offenbar würde das Essen ausfallen, denn Emersons zusammengekniffene Augen zeigten jenes saphirartige Glitzern, das darauf hinwies, daß er eine archäologische Fährte aufgenommen hatte. Ich überredete ihn, die anderen eine Weile ausruhen zu lassen – für sich selbst hätte er einen solchen Vorschlag vehement abgelehnt –, und reichte die Feldflasche mit
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