Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
sich her. Abdullah war nicht mitgekommen. Ich nahm an, daß er den Auftrag hatte, die Verfolger aufzuhalten. Entrüstete Schreie aus dem Laden bestätigten meine Vermutung.
Oben angelangt, blieb Emerson kurz stehen und zündete eine Kerze an, die er aus der Tasche gezogen hatte. Das Haus war größer, als es von der Straße aus den Anschein hatte – das obere Stockwerk war ein regelrechter Kaninchenbau aus Korridoren und Zimmern. Emerson hielt meine Hand, und ich umklammerte meinen Sonnenschirm. Manche Leute – beispielsweise Emerson – lachen über meine Sonnenschirme, doch es gibt kaum ein nützlicheres Gerät. Meine waren Sonderanfertigungen mit schweren Stahlgriffen und einer sehr scharf geschliffenen Spitze.
In dem Stockwerk befanden sich Menschen. Hinter einigen verschlossenen Türen hörte ich leise, vielsagende Geräusche. Außerdem vernahm ich das rasche Fußgetrappel unserer Verfolger. Entweder hatte Ali Murad Abdullah besiegt, oder diesem war befohlen worden, ihn nur eine Weile zurückzuhalten.
Endlich blieb Emerson stehen und hielt die Kerze hoch. Ich wirbelte herum, um ihn zu verteidigen, denn Murad hatte uns eingeholt. Beim Anblick meines Sonnenschirms blieb er mit einem Aufschrei stehen und hob die beringten Hände.
»Was sind Sie doch für ein jämmerlicher Feigling, Murad«, sagte Emerson. »Sie trauen einer Dame wie Mrs. Emerson doch nicht etwa zu, einen Mann in seinem eigenen Haus anzugreifen? Ich glaube, das hier ist das richtige Zimmer. Hoffentlich haben Sie einen Schlüssel. Ich würde nur ungern die Tür eintreten.«
Murad beäugte Emerson wie einen tollwütigen Hund und unternahm einen letzten Versuch, seine Würde zu retten: »Sie verstoßen gegen das Gesetz, Emerson Effendi. Sie beleidigen die amerikanische Flagge. Ich rufe die Polizei.«
Emerson bekam einen solchen Lachanfall, daß er sich an die Wand lehnen mußte.
Leise vor sich hin fluchend öffnete Murad die Tür. Vor den Fenstern befanden sich schwere hölzerne Läden. Aus der Staubschicht darauf schloß ich, daß sie seit langem nicht geöffnet worden waren. Hier brauchte man kein Licht, denn Kunden bekamen das Zimmer nie zu sehen. Die Ware an diesem besonderen Lagerraum wurde zu ihnen hinuntergebracht.
Die Möblierung bestand aus einigen Tischen und Regalen auf denen kleine Gegenstände lagen. Die Antiquitäten waren nicht in einer bestimmten Reihenfolge geordnet: Uschebtis standen neben Gefäßen aus Ton und Steingut, dazwischen lagen Scherben. Der Fußboden war schon seit Menschengedenken nicht mehr gefegt worden – wahrscheinlich wäre der umherliegende Schutt eine Ausgrabung wert gewesen.
Emerson ging langsam im Zimmer herum. Ein Gegenstand nach dem anderen tauchte im schwachen Licht der Kerze auf und verschwand dann wieder in der Dunkelheit. Vor einer Steinplatte, viereckig bis auf die abgerundete Oberkante, blieb er stehen. Die Grabstelle stammte, nach der am oberen Rand dargestellten Szene zu urteilen, vermutlich aus der Neunzehnten Dynastie. Der Rest der Oberfläche war mit Hieroglyphen bedeckt.
Ich hörte ein Knirschen. Es kam von Emerson – von seinen Zähnen, um genau zu sein –, doch er ging wortlos weiter.
Sein Verhalten machte Ali Murad sehr nervös, denn er wußte so gut wie ich, daß Emerson sich nur deshalb so ungewöhnlich beherrschte, weil er etwas im Schilde führte.
Die Kunstgegenstände in diesem Raum waren echt, und jeder kam aus einer illegalen Quelle – von den Arbeitern bei einer genehmigten Ausgrabung gestohlen oder aus einem angeblich bewachten Grab entwendet. Inspektoren wie Howard Carter standen vor einer unmöglichen Aufgabe, denn sie konnten nicht alle Gräber und Tempel in Ägypten ständig beaufsichtigen lassen. Und solange Sammler bereit waren, für Standbilder und Malereien hohe Preise zu bezahlen, würden historische Stätten weiterhin geschändet werden.
Die Ergebnisse dieser Schändungen lehnten nachlässig aß der Wand und lagen lieblos auf dem Boden herum – Ausschnitte aus Gemälden und Basreliefs, die einfach von den Wänden der Gräber abgeschlagen worden waren. Ich erkannte ein Fragment, auf dem das ernste Profil und die kunstvoll dargestellte Gestalt eines hohen Adeligen zu sehen waren. Erst fünf Jahre zuvor hatte ich das Bild in einem Grab in Gurneh gesehen.
Da ich sehr dicht bei Ali Murad stand, spürte ich, wie er zusehends erstarrte, als Emerson mit hoch erhobener Kerze die Fragmente eines nach dem anderen untersuchte. Einmal stieß Ali sogar einen kaum
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