Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
aufmerksam lauschte. Also tappte er ebenfalls im dunkeln.
»Einer der Grabräuber hier aus der Gegend hat das Grab entdeckt, Peabody«, sagte Emerson. »Nur so lassen sich die jüngsten Ereignisse erklären. Der Ring, den unser mitternächtlicher Besucher uns zeigte, muß aus Tetischeris Grabschatz stammen. Wenn Diebe in besagtem Grab zugange sind, wurden bestimmt noch weitere Kunstgegenstände gestohlen. Und diese landen gewiß auf dem Antiquitätenmarkt in Luxor.«
»Hast du deshalb Abd el Hamed in Gurneh besucht?«
»Genau. Er ist mit jedem Grabräuber im Dorf verwandt. Sie bringen ihm ihre Beute, und er verkauft die Stücke weiter an die Antiquitätenhändler. Eigentlich wollte ich ihn überraschen und mich ein wenig umsehen, doch nachdem wir uns mit dem Jungen beschäftigt hatten, war es dazu schon zu spät.«
Fluchend hielt er inne. Wegen des heftigen Windes hatte er Schwierigkeiten, seine Pfeife anzuzünden.
»Die Theorie ist logisch«, stimmte ich zu. »Allerdings sehe ich da eine Schwierigkeit. Nein, zwei. Wenn das Grab bereits entdeckt worden ist, haben wir die Gelegenheit wohl bereits verpaßt, es zu retten. Und warum sollte Mr. Shelmadine – und das ist mein zweiter Einwand – sich erbieten, uns das Grab zu zeigen, wenn er mit den Grabräubern unter einer Decke steckt?«
»Du bist ungebührlich pessimistisch, Peabody«, antwortete Emerson. »Schlimmstenfalls müssen wir das Grab selbst suchen, und es ist höchst unwahrscheinlich, daß es schon völlig ausgeplündert wurde. Die Diebe aus Gurneh arbeiten nicht so gründlich wie richtige Archäologen, und sie können es auch gar nicht, weil sie im geheimen vorgehen müssen. Außerdem würden sie es nicht wagen, den Markt mit Kunstgegenständen zu überschwemmen, deren Herkunft gewiß Fragen aufwerfen würde. Denk an die Brüder Abd er Rasul. Sie haben zehn Jahre lang Papyri und Uschebtis aus dem Versteck der königlichen Mumien entfernt, bis ihnen jemand auf die Schliche kam, und es war immer noch jede Menge übrig.«
»Ja«, hauchte ich. Meine Phantasie hatte Feuer gefangen. »Aber mein zweiter Einwand …«
»Ich wußte, daß du damit anfangen würdest«, sagte Emerson. »Laß es für den Augenblick auf sich beruhen, Peabody; wir sind da.«
Wir lehnten die angebotene Kutsche ab und gingen zu Fuß. Es waren noch viele Menschen unterwegs, denn die Touristen ruhten sich während der heißen Nachmittagsstunden lieber aus und schlenderten umher, wenn es wieder kühler wurde. Außerdem waren die Läden während des Ramadan bis spät nachts geöffnet. Ali Murads Haus, in dem er auch sein Geschäft betrieb, lag in der Nähe des Tempels von Karnak. Einer seiner Angestellten stand in der Tür und lud die Passanten zum Hereinkommen ein, indem er sie am Ärmel zupfte. Als er Emerson erkannte, riß er entsetzt die Augen auf und wollte ins Haus fliehen.
»Du brauchst uns nicht anzumelden«, meinte Emerson großzügig, ergriff den Burschen am Schlafittchen und schob mich hinein. »Ach, da sind Sie ja, Ali Murad. Die Geschäfte gehen gut, wie ich hoffe?«
Anscheinend hatte er recht. In dem kleinen Raum drängte sich ein halbes Dutzend Kunden, und Murad selbst kümmerte sich aufmerksam um das Paar, das am wohlhabendsten wirkte. Ihrem seltsamen Akzent nach zu urteilen, mußten es Amerikaner sein.
Ali Murad war Türke, ein roter Fes thronte schief auf seinem Kopf, und seine Finger waren mit Ringen bedeckt.
Er hatte sich besser in der Gewalt als sein Gehilfe; nur eine flüchtige Grimasse verriet, wie überrascht und erschrocken er war.
»Emerson Effendi«, begrüßte er uns aalglatt. »Und seine Gemahlin. Welche Ehre für mein bescheidenes Haus. Bitte setzen Sie sich und trinken Sie einen Kaffee mit mir …«
»Abdullah wird die Einladung bestimmt gern annehmen«, antwortete Emerson und packte mich beim Arm. »Hier entlang, Peabody.«
Mit einem Satz hatte er den mit einem Vorhang verdeckten Durchgang am hinteren Ende des Raumes erreicht, ehe Ali Murad ihn aufhalten konnte. Abdullah folgte uns auf den Fersen.
Ich war zwar schon früher in diesem Laden gewesen, allerdings nur im vorderen Zimmer. Offensichtlich kannte Emerson auch den Rest des Hauses. Der Durchgang führte in eine kleine, übelriechende Vorhalle. Ehe der Vorhang wieder zurückfiel und erneut Finsternis einkehrte, sah ich geborstene Fliesen auf dem Boden und unter einer schmalen Treppe einen Haufen Lumpen und Papier. Ohne innezuhalten, stürmte Emerson die Treppe hinauf und zerrte mich hinter
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