Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
»Sehr verdächtig, Emerson.«
»Du findest alles verdächtig, Peabody.«
»Ich traue dieser Frau nicht«, verkündete Nefret. »Sie war gestern vor mir an Deck. Was hatte sie dort zu suchen?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Emerson, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt. »Was tat sie denn?«
»Sie hatte keine Zeit, etwas zu tun. Ich bin ihr gefolgt. Sobald sie mich sah, stieß sie einen Schrei aus und fiel um. Aber was wäre geschehen, wenn ich nicht in diesem Moment aufgetaucht wäre?« Nefrets Augen blitzten. »Laß sie nicht allein mit David, Professor. Ihr Angebot, ihm Gesellschaft zu leisten, war sehr suspekt.«
Emerson blickte zwischen mir und Nefret hin und her. »Ihr hört euch an wie ein Echo«, murmelte er. »Allmählich frage ich mich, ob ich zwei von eurer Sorte verkraften kann. Nun denn, ich werde mein Bestes versuchen. Ich vermute, daß Ramses euren Argwohn teilt, was Mrs. Marmaduke angeht. Macht euch keine Sorgen um David. Einer unserer Männer wird Wache stehen, bis ich mir über Miss Marmadukes Motive im klaren bin. Ich werde sie im Auge behalten. Warum, glaubt ihr, nehmen wir dieses gräßliche Frauenzimmer heute mit?«
Als ich in die Kabine meines Sohnes kam, lag David wieder im Bett. Er trug eine von Ramses’ Galabijas und sah aus wie ein Mensch, der gerade die entsetzlichste Folter überstanden hat. Er erhob keinen Einspruch, als ich ihn – natürlich mit äußerster Rücksichtnahme auf sein Schamgefühl – untersuchte. Die Blutergüsse, Schnittwunden und Abschürfungen bedurften keiner größeren Behandlung, doch die eitrige Zehe sah nach der Säuberung noch schrecklicher aus. Der Nagel fehlte, und die Entzündung hatte sich tief ins Fleisch gefressen. Gerade hatte ich sie gereinigt und verbunden, als Emerson schon an die Tür klopfte und mich zur Eile antrieb.
Ich forderte ihn auf einzutreten. »Ich bin gleich soweit, Emerson. David, ich möchte, daß du diese Medizin nimmst.«
»Laudanum?« Die Hände in die Hüften gestemmt, musterte Emerson mich. »Hältst du das für klug, Peabody?«
»Er hat ziemlich starke Schmerzen, obwohl er es nicht zugibt«, antwortete ich. »Er braucht Ruhe.«
»Nein! Ich darf nicht …« Unfreiwillig hielt David inne, denn ich hatte ihm geschickt die Nase zugehalten und ihm die Flüssigkeit in die Kehle geschüttet.
»Keine Angst«, meinte Emerson. »Einer deiner Onkel oder Vettern – oder was zum Teufel sie sonst sind – steht die ganze Zeit Wache. Hier bist du sicher. Möchtest du mir noch etwas sagen?«
»Nein, Vater der Flüche. Ich weiß nicht …«
»Wir unterhalten uns später weiter«, sagte Emerson. »Kommt, Peabody – Ramses.«
»Ich hoffe doch«, begann Ramses, sobald ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, »daß du ihn nicht betäubt hast, weil du glaubst, er könnte weglaufen, Mutter. Das wird er nicht tun.«
»Vermutlich hat er dir sein Wort gegeben«, spottete ich.
»Ja. Und außerdem«, fuhr Ramses fort, »habe ich ihm versprochen, ihm die Hieroglyphen beizubringen, wenn er bei uns bleibt.«
Wir hatten keine Zeit, das Gespräch fortzusetzen. Gertrude und Nefret warteten, und Emerson scheuchte uns alle ins Boot.
Während der Überfahrt hielt Ramses Vorträge über die Tempel von Luxor und redete ununterbrochen. So hatte ich Gelegenheit, meinen Gedanken nachzuhängen, die dringend der Ordnung bedurften. Wir würden unglaublich viel zu tun haben und eine Menge erledigen müssen! Herauszufinden, wer David hatte ermorden wollen, war das Wichtigste – nicht nur, um weitere Anschläge zu verhindern, sondern auch, um zu erfahren, wem soviel daran lag, ihn zum Schweigen zu bringen. Vielleicht konnte der Junge selbst uns die Antwort geben, wenn er reden wollte – und wenn er es überhaupt wußte.
Zuerst aber mußten wir die Telegramme an Evelyn und Walter abschicken. »Emerson, findest du es klug zu behaupten, wir hätten ein unbekanntes Königsgrab gefunden?« murmelte ich, als ich ihm über die Schulter blickte. »Bestimmt hat sich das bis zum Abend in ganz Luxor herumgesprochen, und auch in Kairo weiß man sicher bald Bescheid. Jeder Dieb in Gurneh wird sich an unsere Fersen heften, und Monsieur Maspero wird sehr erbost sein, weil wir unsere Entdeckung nicht bei ihm gemeldet haben, außerdem …«
»Schreib dein eigenes Telegramm, Peabody, und überlaß das hier mir«, entgegnete Emerson mit einem Stirnrunzeln.
Das tat ich auch, denn mir war eine Erklärung für sein Vorgehen eingefallen. Ich wäre schon früher darauf
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