Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
gekommen, wenn ich Emerson diesen Grad von Gerissenheit zugetraut hätte.
Das Telegraphenamt lag neben dem Hotel Luxor, und Emerson schlug vor, im Hotelgarten einen Kaffee zu trinken. Daß er sich soviel Zeit ließ, entsprach eigentlich gar nicht seiner Art – er führte eindeutig etwas im Schilde. Wie sich herausstellte, hatte er eine ganze Menge Pläne.
»Um diese Zeit sind nicht viele Leute hier«, stellte er nach einem Blick auf die Touristen an den anderen Tischen fest.
»Die meisten sind schon nach Karnak oder ans Westufer gefahren«, sagte ich und hängte den Sonnenschirm an die Lehne meines Stuhls. »Nur die Müßiggänger, denen mehr an Zerstreuung als an der Kultur liegt, stehen so spät auf.«
»Wunderschön hier«, meinte Gertrude verträumt. »Was sind das für rosafarbene Blüten, die hinter uns die Mauer hinaufklettern, Mrs. Emerson?«
»Bougainvilleen«, antwortete ich. »Dank des tropischen Klimas kann man hier solche exotischen Pflanzen ebenso züchten wie Arten, die wir aus unseren Gärten in England kennen.«
Emerson, der das Kommen und Gehen beobachtet hatte, unterbrach ungeduldig meinen Vortrag: »Entschuldige, Peabody, aber es ist Zeit, daß wir Miss Marmaduke und den Kindern von unseren Absichten erzählen.«
»Gut, Liebling«, antwortete ich, wobei ich mich fragte, worin »unsere« Absichten wohl bestehen mochten. Da es nicht Emersons Art ist, um den heißen Brei herumzureden, kam er sofort zur Sache. »Ich kenne die genaue Lage des Grabes«, sagte er.
Nefret und Gertrude stießen bewundernde Schreie aus, wie ein Gentleman sie von Frauen erwartet, wenn er sich Mühe gegeben hat, sie zu beeindrucken. Ramses’ Reaktion war natürlich eine Frage:
»Und wie bist du darauf gekommen, Vater?«
»Ich habe meine Methoden«, entgegnete Emerson mit geheimnisvoller Miene. »Was die genaue … Das erfahrt ihr morgen vormittag, wenn ich euch die Stelle zeige. Im Augenblick, Miss Marmaduke, weiß nur ich allein, wo das Grab sich befindet. Nicht einmal Mrs. Emerson habe ich ins Vertrauen gezogen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil dieses Wissen sie in Gefahr bringen könnte. Wegen Ihrer Unerfahrenheit sind Sie sich vermutlich nicht darüber im klaren, wie weit die Grabräuber in dieser Gegend gehen würden, um hinter unser Geheimnis zu kommen.«
Die Hände wie zum Gebet gefaltet, beugte sich Gertrude vor. »Aber je mehr Leute über dieses Wissen verfügen, desto …«
»Ich ziehe es vor, das Risiko allein zu tragen«, erwiderte Emerson heldenhaft. »Sie werden doch wohl nicht erwarten, daß ich meine Frau und meine unschuldigen Kinder durch eine derart brisante Information gefährde.«
Kein Mensch, der mich auch nur ein bißchen kannte, hätte Emerson diesen Schwachsinn abgenommen, weshalb Ramses’ unschuldiger Blick nicht sehr überzeugend ausfiel.
Bestimmt hätte Gertrude weitergebohrt, wäre sie nicht durch einen Ausruf von Nefret abgelenkt worden. Es handelte sich zwar nur um ein gedämpftes »Oh!«, das jedoch so eindringlich klang, daß mein Blick zu dem Ankömmling wanderte, dessen Eintreffen es ausgelöst hatte.
Er hatte uns gesehen und kam nun, den Hut in der Hand und mit einem breiten Lächeln, auf uns zu. »Was für eine schöne Überraschung!« begrüßte er uns. »Guten Morgen, Professor, guten Morgen, Mrs. Emerson, Miss Forth, Master Emerson. Wahrscheinlich werden Sie sich nicht an mich erinnern …«
»Guten Morgen, Sir Edward«, antwortete ich, wobei ich Ramses kräftig auf den Fuß trat. Ergebnis war ein gebrummeltes »Sir«, aber mehr konnte ich unter diesen Umständen auch nicht erwarten. Nefrets Begrüßung bestand in einem Lächeln.
Emerson musterte den jungen Mann vom Blondschopf bis zu den polierten Stiefeln. »Guten Morgen. Ich glaube, wir haben uns im letzten Jahr kennengelernt. Sie waren Teilnehmer der Northampton-Expedition.«
»Ich fühle mich geschmeichelt, daß Sie eine solch flüchtige Begegnung nicht vergessen haben.«
»Sind Sie Archäologe?« fragte ich überrascht. Der junge Mann lachte liebenswürdig. »Diese ehrenhafte Bezeichnung verdiene ich nicht, Mrs. Emerson, obwohl ich mich brennend für die Archäologie interessiere. Lord Northampton ist ein entfernter Verwandter meiner Mutter – oder, um es treffender zu sagen, ich bin ein sehr entfernter und armer Verwandter seiner Lordschaft. Er war so gütig, mich in der vergangenen Saison als Photograph zu beschäftigen.«
Wie bitter bereute ich es in diesem Moment, Nefrets liebendem Pflegevater ihr
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