Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
es sich gewiß um den Teil einer größeren Szene. Du hast doch überlegt, wie du Evelyn aufrütteln könntest. Das hier dürfte bestimmt genügen.«
»Aber Emerson!« rief ich aus. »Was willst du damit sagen?«
»Wir müssen allmählich eine Mannschaft zusammenstellen, Peabody. Und wir brauchen dringend einen Zeichner. Carter ist zwar sehr fähig, doch mit anderen Pflichten ausgelastet. Evelyn muß kommen. Es ist an der Zeit, daß sie wieder an ihre Karriere anknüpft, die sie nach der Eheschließung mit Walter aufgegeben hat. Und er ist für uns ebenfalls unentbehrlich – ganz sicher werden wir Inschriften finden, vielleicht sogar Papyri.« Mit blitzenden Augen lief Emerson im Raum auf und ab. »Ich werde gleich morgen telegraphieren.«
»Also schlägst du das nur aus eigennützigen Gründen vor?«
Emerson blieb stehen und musterte mich ernst. »Abgesehen davon, daß Evelyn meiner Ansicht nach eine seltene Begabung dafür hat, den Geist und auch die Einzelheiten ägyptischer Malerei einzufangen, braucht sie zur Zeit genau eine solche Aufgabe – Ablenkung, harte Arbeit, Bestätigung. Allerdings wird sie ablehnen, wenn wir sie nicht davon Überzeugen können, daß sie uns damit einen Dienst erweist. Das mußt du ihr klarmachen.«
Tränen der Bewunderung verschleierten meinen Blick, als ich Emerson liebevoll ansah. Wegen seiner oft so erdrückenden, lauten Art vergesse ich manchmal, wie sensibel und aufmerksam er eigentlich ist. Nur wenige Männer hätten die Bedürfnisse einer Frau so genau verstanden (selbstverständlich hatte ich ihn oft genug an meine Bedürfnisse erinnert, doch man muß Verständnis dafür haben, daß er mich vielleicht für eine Ausnahme hielt). Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: Harte Arbeit, die Anwendung ihres angeborenen Talents und eine Prise Gefahr als Dreingabe – genau das hatte Evelyn nötig, und insgeheim sehnte sie sich auch danach.
»Du hast den Kernpunkt erfaßt«, sagte ich deshalb. »Wir werden beide morgen telegraphieren. Selbst wenn wir das Grab nicht finden …«
»Wir werden es finden, Peabody.«
»Wie?«
»Es ist spät, Liebling. Gehen wir zu Bett.«
Wegen der aufregenden Dinge, die mich erwarteten, war ich am nächsten Tag noch energiegeladener als sonst und schon bei Morgengrauen auf den Beinen. Von allen Seiten rückten die Feinde vor, ein Kranker harrte meiner Pflege, Evelyn mußte überredet werden – und dazu hatten wir noch ein Königsgrab ausfindig zu machen und zu retten. Wenn – falls! – wir es fanden, würden wir wahrscheinlich halb Gurneh abwehren müssen. Wunderbare Aussichten.
Emerson schlief noch, als ich in Ramses’ Kabine eilte. Dort fand ich die beiden Knaben in ein leises Gespräch vertieft – wenn man das so nennen konnte, da eigentlich nur Ramses redete. Nachdem ich meinen Patienten untersucht hatte beschloß ich, daß er zuerst etwas zu essen brauchte, und schickte Ramses nach einem Tablett. Das überraschte David offenbar sehr. Vermutlich war er es nicht gewöhnt, bedient zu werden. Er aß mit gutem Appetit, und als er fertig war, erklärte ich ihm meinen nächsten Schritt.
Wir diskutierten meinen Vorschlag lebhaft, bis Ramses anregte, ihm die Angelegenheit zu überlassen. Zuerst war ich skeptisch, denn eigentlich schuldete Ramses mir noch den Beweis, daß er in der Lage war, sich selbst zu waschen, bevor er sich an andere Menschen wagte. Doch ich entnahm Davids Gesichtsausdruck, daß er sich wehren würde wie ein Tiger, wenn ich auf meinem Plan beharrte. Da die erwünschte Wirkung nur durch ein Wannenbad und langes Einweichen zu erzielen war, überließ ich ihn Ramses’ zärtlicher Fürsorge und ging frühstücken.
Auch die anderen hatten sich schon versammelt, und nachdem ich über den Zustand meines Patienten Bericht erstattet hatte, meinte Gertrude zögernd: »Ich möchte mich bei Ihnen für meine gestrige Feigheit entschuldigen, Mrs. Emerson. Dieser unerwartete und grauenhafte Anblick hat mir einen entsetzlichen Schrecken eingejagt. Doch ich hätte mich besser in der Gewalt haben sollen, und ich verspreche, daß so etwas nicht wieder vorkommen wird. Der Professor hat mir von dem armen Jungen erzählt. Möchten Sie, daß ich ihm Gesellschaft leiste, während Sie sich Ihren Ausgrabungen widmen?«
»Nicht nötig«, antwortete Emerson. »Ich brauche heute Ihre Hilfe, Miss Marmaduke. Packen Sie Ihre Sachen, wir fahren nach dem Frühstück nach Luxor.«
»Verdächtig«, murmelte ich, nachdem sie hinausgegangen war.
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