Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
nichts Passendes für solch anstrengende körperliche Arbeit gefunden hätte.«
Sie hatte ihn bestimmt nicht tadeln wollen, aber ihr kühler Ton und Walters plötzlich ernste Miene bestätigten mir, daß sich ihr Verhältnis nicht sonderlich gebessert hatte. Ich würde mich darum kümmern müssen, und ich war sicher, daß meine Vorbereitungen zu der erhofften Versöhnung beitragen würden.
Evelyn war entschlossen, uns zu begleiten, und verkündete, sie werde sich nicht umziehen, um uns nicht aufzuhalten. Sie trug ein Reisekostüm aus modischem, aber praktischem Tweed mit knöchellangem Rock und derben Wanderstiefeln.
Auch die Kutsche lehnte sie ab. »Seit den Tagen in Amarna sind wir kläglich außer Kondition geraten. Wenn wir nicht sofort etwas für unsere körperliche Ertüchtigung tun, werden wir nie mit euch mithalten können.«
»Dann wollt ihr also bleiben?« Emerson, bei dem sie sich untergehakt hatte, sah sie fragend an.
Als sie ihn anlächelte, wirkte sie fast wie früher. »Du hast noch nichts über die Grabmalereien gesagt. Aber ich kenne dich, Radcliffe. Du möchtest nur meine Neugier erregen. Sind die Gemälde so prachtvoll, wie du gehofft hast?«
»Einzigartig, meine liebe Evelyn; die Geschichte der ägyptischen Kunst wird neu geschrieben werden müssen. Kein vergleichbares ausgemaltes Königsgrab aus dieser frühen Zeit ist bis jetzt gefunden worden. Ich würde sogar sagen …«
Zufrieden lächelnd blieb ich zurück und gesellte mich zu Ramses, der allein dahinschlenderte, da Nefret und Walter vorausgegangen waren.
»Wie geht es dir, Ramses?«
Ramses schreckte aus irgendeinem – nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen – finsteren Gedanken auf. »Nett, daß du dich erkundigst, Mutter. Offenbar war deine Frage aus Freundlichkeit gestellt und verlangt nicht nach einer Antwort, da du sie bestimmt schon kennst. Schließlich untersuchst du ja täglich meine Verletzung, obwohl in den letzten beiden Tagen keine Notwendigkeit mehr bestand, meine Privatsphäre …«
»Du meine Güte, Ramses. Ich dachte, du wolltest künftig die unnötige Ausführlichkeit und Geschraubtheit deiner Redeweise vermeiden.«
»Das ist richtig«, entgegnete Ramses. »Danke, daß du mich daran erinnerst. Ich finde, Tante Evelyn sieht viel besser aus.«
Rein äußerlich war keine Veränderung wahrzunehmen, der Wandel hatte sich eher innerlich vollzogen. Ramses’ Zuneigung zu seiner Tante mußte ihm unerwartete Einblicke ermöglicht haben. Ich stimmte ihm zu und schlug dann vor, er solle, da er nun wieder vollständig genesen sei, seinen Vater überreden, ihn den zweiten Tunnel untersuchen zu lassen.
Unsere Ankunft an der Fähre beendete diese Debatte. Ich setzte mich neben Evelyn, da ich noch keine Gelegenheit gehabt hatte, gemütlich mit ihr zu plaudern.
»Mir fehlen die Worte«, sagte ich aufrichtig, »um auszudrücken, wie sehr ich mich freue, euch hier zu sehen – besonders dich, meine liebste Evelyn. Darf ich hoffen, daß du deinen Seelenfrieden wiedergefunden hast und daß ihr den Rest der Saison hierbleiben werdet?«
Der Wind hatte ihre Wangen gerötet und blies ihr die goldenen Locken ins Gesicht. Sie wiesen zwar schon einige silberne Strähnen auf, schimmerten aber so hell wie eh und je.
»Wir werden bleiben, solange du und Radcliffe uns braucht, Amelia. Erst als sein Telegramm eintraf, wurde mir klar, daß ich nicht die einzige auf der Welt bin, die einen Verlust hinnehmen mußte. Andere Menschen haben ähnliche Schicksalsschläge mit viel mehr Glauben und Zuversicht ertragen. Kannst du mir mein schlechtes Benehmen verzeihen?«
»Meine liebste Freundin!« Wir umarmten uns. Als ich sie losließ, sah ich Tränen in ihren Augen, doch ihr Lächeln war so lieblich wir früher.
»Während der langen Reise hatte ich viel Zeit«, fuhr sie fort, »über meine Schwächen nachzudenken und sie mit den Stärken anderer zu vergleichen. Ich habe mich an die unzähligen Male erinnert, die du miterleben mußtest, wie deine geliebte Familie in Gefahr schwebte. Jene langen Tage im vergangenen Winter, als du Radcliffe für tot gehalten hast – oder noch schlimmer, als du, wie vor kurzem, noch um Ramses’ Leben fürchten mußtest …«
»Ach, bei Ramses gewöhnt man sich daran«, antwortete ich, denn ich hatte das Gefühl, die Stimmung ein wenig aufheitern zu müssen. »Was ihn angeht, bin ich nicht sonderlich tapfer. ›Abgestumpftheit‹ würde es treffender beschreiben.«
»Ich kenne dich zu gut, um mich von deiner
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