Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Komm, Amelia.«
Als wir draußen auf der Straße standen, schüttelte sich Emerson heftig. »Wenn ich diesen Menschen gesehen habe, fühle ich mich jedesmal, als würden Tausende von Insekten auf meiner Haut herumkriechen«, bemerkte er. »Was hältst du davon, wenn wir auf ein Glas Bier und ein Abendessen ins ›Rohrmoser‹ gehen? Ich bin ein wenig hungrig.«
8. Kapitel
AUCH EIN UNSCHULDIGER KANN KEIN LEBEN FÜHREN, DAS GÄNZLICH FREI VON ALLEN HARMLOSEN LASTERN IST.
Als eine Woche später der Nachtzug aus Kairo in den Bahnhof einfuhr, warteten wir alle auf dem Bahnsteig. Sogar Emerson hatte es fertiggebracht, sich von seiner Arbeit zu trennen.
Evelyn stieg als erste aus. Sie war blaß und mager und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Doch es war eine nicht in Worte zu fassende Veränderung in ihr vorgegangen, die mich hoffen ließ, daß die ersehnte Genesung ihren Anfang genommen hatte. Mir wurde klar, daß sie meine beruhigenden Telegramme nicht mehr erhalten hatte, denn nach einem kurzen Blick auf mich eilte sie auf Ramses zu und umarmte ihn.
»Gott sei Dank, es geht dir besser, Ramses! Bist du wieder gesund?«
»Ja, Tante Evelyn«, antwortete Ramses. »Glücklicherweise hat das Messer die lebenswichtigen Organe verfehlt. Und der Arzt, den Mutter entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten hinzugezogen hat, erwies sich als sehr fähig. Ich hatte ziemlich viel Blut verloren, aber da ich einige Liter Hühnersuppe zu mir genommen habe …«
»Messer?« Evelyn rückte ihren Hut zurecht, der ihr bei der ungestümen Umarmung verrutscht war. »Du meine Güte! Warst du etwa verwundet? Ich habe gedacht, du wärst krank geworden.«
»Äh … hmpf«, brummte Emerson. »Hör nicht auf Ramses. Wie du siehst, ist er wieder ganz der alte. Du siehst erschöpft aus, meine liebe Evelyn; gehen wir doch direkt ins Hotel. Wo ist euer restliches Gepäck?«
Sie hatten außer ihren Handkoffern nichts bei sich, denn sie waren in den nächsten Zug gestiegen, ohne sich lange mit Packen aufzuhalten, und hatten sich unterwegs keinen Tag Pause gegönnt. Als Evelyn den Arm um mich legte – wahrscheinlich glaubte sie, mich stützen zu müssen –, verspürte ich den Anflug eines schlechten Gewissens, allerdings nur einen ganz leichten. Emersons Methoden, obwohl ein wenig ungewöhnlich, hatten sich als wirksam erwiesen.
Als wir im Hotel ankamen, fragte Walter Emerson schon über das Grab aus. Ich versuchte, Evelyn zu überreden, sich ein wenig hinzulegen, aber sie weigerte sich und behauptete, das Wiedersehen mit ihren geliebten Angehörigen und die Zerstreuung ihrer schlimmsten Befürchtungen hätten sie wieder belebt. Also ließen wir uns im Salon ihrer Suite nieder und bestellten Tee, während Emerson einen Vortrag hielt.
»Wir haben weniger Fortschritte gemacht, als ich gehofft hatte«, gab er zu. »Es hat mich eine Menge Zeit gekostet, die verdammten Reporter und die neugierigen Touristen abzuwimmeln. Außerdem werden wir von Unfällen verfolgt. Zwei Steinschläge …«
»Zwei?« rief Walter mit einem unwillkürlichen Blick auf seine Frau aus. »Bist du sicher, daß es Unfälle waren?«
»Was sonst?« antwortete Emerson ausweichend. Tatsächlich hatten wir uns nicht erklären können, wie jemand die Felsen hätte zum Einsturz bringen sollen; das Grab wurde Tag und Nacht bewacht.
Als Walter nun lächelte, schien er sich zum erstenmal seit Monaten wieder richtig zu amüsieren. »Mein lieber Radcliffe, meiner Erfahrung nach gibt es bei dir und Amelia keine echten Unfälle. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, daß ihr beiden wie immer von einer Verbrecherbande verfolgt werdet.«
»Und trotzdem bist du gekommen«, sagte ich gerührt.
»Gerade deshalb«, meinte Evelyn mit Nachdruck.
»Genauer gesagt …«, fing Ramses an.
»Sei still, Ramses«, riefen Emerson und ich im Chor.
»Ich möchte euch beide einweihen«, begann Emerson dann und zog einen Bleistift aus der Tasche. »Aber vorher will ich meine Beschreibung des Grabes beenden. Der Eingang ist schwierig …«
Da kein Blatt Papier verfügbar war, gestattete ich ihm, das Tischtuch zu benutzen. Er zeichnete eine grobe Skizze der Spalte und des Grabeingangs und schloß: »Nach dem zweiten Steinschlag habe ich entschieden, Ramses’ Rat zu folgen und den unteren Teil der Spalte ganz freizulegen. Ich möchte eventuellen Gerüchten vorbeugen, daß ein Fluch auf dem Grab lastet.«
»Nicht zu vergessen die Gefahr, daß die Männer oder einer von uns durch fallende Steine verletzt
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