Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
das ihm gegenüber um Gottes willen nicht, sonst fährt er aus der Haut.«
Nach einer herzlichen Begrüßung betraten wir das Museum und marschierten durch das geschmackvolle Treppenhaus zur Galerie d’Honneur im ersten Stock, wo die Exponate aus Tetisheris Grabstätte ihren Ehrenplatz hatten. Maspero war wenigstens ehrlich genug gewesen, um zuzugeben, daß sie zu den wirklichen Schätzen des Museums gehörten, auch wenn die Mumie und die Särge der Königin fehlten. Was aus ihnen geworden war, wußte niemand, noch nicht einmal wir. Aber es waren so viele Grabbeigaben erhalten, daß es einem schier den Atem raubte – Uschebtis und Statuen, die Einlegearbeiten auf den Totenmasken, Alabastergeschirr, einen Krönungssessel, der vollkommen mit Blattgold überzogen war, in das man kunstvolle Ornamente eingetrieben hatte – und das Pièce de Résistance, einen Streitwagen. Als wir ihn im Grab der Königin fanden, war er zerbrochen gewesen, aber alle Einzelteile, einschließlich der Räder, waren noch vorhanden. Der Holzkorpus, der mit Leinen und Gips zusammengehalten wurde, war geschnitzt und verziert gewesen, und wir hatten entsetzliche Arbeit damit, die fragilen Materialien zu stabilisieren und den Wagen instandzusetzen. Emerson hatte die Überführung des Streitwagens nach Kairo selbst überwacht und dafür gesorgt, daß er in einer riesigen Glasvitrine ausgestellt wurde. Jedesmal wenn wir das Museum besuchten, schlenderte er immer wieder rund um diese Glasvitrine und untersuchte jeden Zentimeter der prachtvollen Karosse, um sicherzugehen, daß keine Teile zerstört worden waren.
Leider war das wieder einmal passiert. Das versetzte Emerson in denkbar schlechte Laune, und er fing an, über alles zu murren, was ihm gerade einfiel. »Maspero hätte verflucht noch mal alles zusammenlassen können. Die Juwelen …«
»… befinden sich, was auch vernünftig ist, im Juwelenzimmer«, entgegnete ich. »Wo sie auch besser bewacht werden können.«
Ramses studierte die Vorhängeschlösser auf den Holzkisten so interessiert, daß es mich irgendwie stutzig machte. Aber nein, versicherte ich mir. Ramses war jetzt älter und verantwortungsbewußter, und selbst in seinen jüngeren Jahren hätte er niemals versucht, das Museum von Kairo zu berauben. Zumindest nicht, ohne einen triftigen Grund dafür zu haben.
Also begaben wir uns als nächstes ins Juwelenzimmer, wo sich Ramses auf die Vitrinen stürzte, die den Schatz von Dahschur enthielten, wie er in den Führern bezeichnet wurde – die Juwelen der Prinzessinnen der Zwölften Dynastie, die in den Jahren 1894 und ‘95 entdeckt worden waren. Die Hinweise an diesen Vitrinen schrieben die Entdeckung Monsieur de Morgan zu, der Direktor der Antikenverwaltung gewesen war. Ich hatte meine Zweifel an der Genauigkeit dieser Zuschreibung und, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, Ramses ebenfalls. Da er niemals wirklich zugegeben hatte, daß er die Juwelen vor Monsieur de Morgan gefunden hatte – was gleichbedeutend mit dem Eingeständnis gewesen wäre, daß er sich unerlaubter Ausgrabungen schuldig gemacht hatte –, hatte ich ihn auch nie danach gefragt.
Nefret und Emerson standen vor der Vitrine, welche die königlichen Zepter der Kuschiten enthielt. Auch hier war die offizielle Hinweistafel nicht ganz korrekt. Die Zepter, wunderbare Stücke ihrer Art, waren von Professor und Mrs. Emerson in einem entlegenen Wadi in der Nähe vom Tal der Könige gefunden worden. Aber sie waren an dieser Stelle gefunden worden, weil wir sie dorthin gebracht hatten. Nefret hatte sie aus der »Verlorenen Oase« entwendet, und da die Existenz dieses Fleckchens niemals der Weltöffentlichkeit bekannt gemacht werden sollte, waren wir gezwungen gewesen, uns einer minimalen Irreführung zu bedienen, damit die Zepter der Welt der Wissenschaft zugänglich gemacht werden konnten. Der Baedeker hatte dem Schatz von Dahschur zwei Sterne verliehen. Tetisheris Juwelen mußten für ihre Aufnahme in dieses unverzichtbare Buch auf eine neue Auflage warten, dennoch zweifelte ich nicht daran, daß sie mindestens genauso hoch bewertet würden. Der Schmuck der Königin hatte mehrere massivgoldene Armbänder enthalten, die noch feiner waren als die Armbänder ihrer Tochter, Königin Aahhotep, die in einer benachbarten Vitrine aufbewahrt wurden. Meine Lieblingsstücke waren die Perlenhalsbänder und Armbänder, unzählige Stränge aus Karneol-, Türkis-, Lapislazuli- und Goldkugeln. Sie waren nur ein buntes
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