Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
Möglichkeit, sie zu wiederholen. »Nun, warum stehen wir eigentlich noch hier?« fragte Donald. »Kommt, wir gehen ins Hotel.«
»Ein hervorragender Vorschlag«, sagte ich. »Sie begleiten uns doch sicherlich, Mrs. Whitney-Jones? Natürlich hätte ich Sie in meine Einladung eingeschlossen, wenn ich gewußt hätte, daß Sie nicht nur eine Freundin von Enid und Donald sind, sondern ebenfalls eine Kollegin von uns.«
In der Tat bezweifelte ich, daß überhaupt eine der beiden Definitionen korrekt war. Als sich die anderen abwandten, bot Donald der Dame seinen Arm, und Enids aufgesetztes, höfliches Lächeln verschwand für Sekundenbruchteile. Ihr Gesichtsausdruck dokumentierte nicht einfach nur Abneigung. Abscheu wäre der passendere Begriff – und, so merkwürdig es klingt, Angst.
Und doch war es kaum wahrscheinlich, daß ausgerechnet Mrs. Whitney-Jones Anlaß zu solchen Emotionen gab. Während wir den Tee einnahmen, hatte ich reichlich Gelegenheit, mehr über sie zu erfahren. In der Tat hätten übelwollende Beobachter behaupten können, daß sie die Konversation ziemlich bestimmte.
Mr. Fraser hätte übertrieben, als er ihr Fachwissen herausstellte, erklärte sie mit charmanter Bescheidenheit. Sie hatte Hieroglyphenschrift und ägyptische Geschichte in London studiert, aber sie war nur eine mittelmäßige Studentin, und dies war ihr erster Ägyptenaufenthalt. Wie sehr sie sich darauf gefreut hatte! Wie entzückt sie darüber war, die Menschen persönlich zu treffen, deren Arbeit sie so sehr bewunderte! Sie schien tatsächlich recht vertraut damit zu sein – nicht mit den Sensationsgeschichten, die nur zu oft die englischen Zeitungen füllten, sondern mit unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen. Emersons Monumentalwerk Ägyptische Geschichte stellte sie besonders lobend heraus.
Emerson, der mit »einer langweiligen Stunde idiotischen Geplauders mit diesen öden jungen Leuten« gerechnet hatte, war begeistert, daß er über Ägyptologie dozieren konnte, und ließ kaum jemanden von uns noch zu Wort kommen.
Ich fragte mich, ob sich Mrs. Whitney-Jones wohl in Emerson verliebte. Das passierte allen Frauen. Verglichen mit einigen der anderen stellte sie aber keine besondere Bedrohung dar, dachte ich. Es war schwierig, ihr Alter zu schätzen. Ihr Gesicht war glatt und faltenlos, doch ihr dichtes Haar war von grauen Strähnen durchzogen wie das Fell einer getigerten Katze. Sie erinnerte mich tatsächlich an eine Katze, besonders, wenn sie lächelte. Sie zog ihre Lippen dann übertrieben hoch, und ihre Augen funkelten in einem ungewöhnlichen grünlichen Goldton. Ihr ganzer Gesichtsausdruck war katzenartig. Denn nichts wirkt so selbstgefällig wie eine zufriedene Katze.
Als ich Donald Fraser näher betrachtete, stellte ich fest, daß auch er sich verändert hatte, und nicht zu seinem Vorteil. Er hatte zugenommen und wirkte feist und unsportlich. Aber er schien ein hervorragender Zuhörer zu sein, der das Gespräch zwischen Emerson und seiner Verehrerin mit großem Interesse verfolgte – eine weitere Veränderung, denn Donald war nie intellektuell beschlagen gewesen.
Die jungen Leute hatten die geduldige Leidensmiene von Kindern aufgesetzt, die dazu gezwungen sind, einem Treffen von Erwachsenen beizuwohnen, und die die Sekunden zählen, bis es endlich vorbei ist. Ramses starrte Enid fortwährend an. Seine unerschütterliche Haltung gab mir keinen Hinweis auf seine Gedanken, doch ich fragte mich, ob er ebenso wie ich von ihrem veränderten Aussehen irritiert war.
Bis wir uns schließlich voneinander verabschieden wollten, passierte nichts Ungewöhnliches.
Es war Donald, der das Thema anschnitt. »Werden Sie in dieser Saison im Tal der Könige nach Gräbern forschen, Professor?«
»Nicht unbedingt«, sagte Emerson.
»Dann vielleicht im Tal der Königinnen?«
Ich fand seine Hartnäckigkeit merkwürdig. Noch seltsamer war, wie Enid ihn beobachtete – wie eine Katze ein Mauseloch.
»Ich weiß nicht, warum Sie das interessiert«, sagte Emerson betont höflich. »Wir werden dort arbeiten, aber wenn Sie erwarten, einer sensationellen Entdeckung beiwohnen zu können, müssen Sie sich einen anderen Ägyptologen suchen. Die Gräber, die ich untersuchen will, sind alle bekannt und ausschließlich für Wissenschaftler interessant.«
»Warum geben Sie sich denn damit ab?« wollte Donald wissen. »Sie wären doch bestimmt besser beraten, nach einem neuen, unbekannten Grab zu forschen – der Grabstätte einer Königin
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