Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
beantworten.
Schließlich beendete Emerson die Vorstellung mit einem unwirschen Kommentar.
»Das Ganze bringt uns keinen Schritt weiter. Selbst wenn einer der Gurnawis diese Burschen kennen würde, würde er es nicht zugeben. Layla ist unsere beste Hinweisquelle. Wir müssen sie finden. Wo könnte sie sich aufhalten?«
Sir Edward hatte sich uns angeschlossen, obwohl ihn niemand dazu aufgefordert hatte. Er räusperte sich. »Ist es nicht wahrscheinlich, daß sie nach Luxor übergesetzt hat? Die Dörfer am Westufer sind klein und fest zusammengewachsen; Fremde fallen dort auf. Es gibt gewisse Gegenden in Luxor … Verzeihung. In der Gegenwart von Damen hätte ich darauf nicht hinweisen sollen.«
»Oh, dieser Teil von Luxor«, sagte ich. »Hmmm.«
»Der Gedanke kam mir bereits«, erklärte Ramses mit einem feindseligen Blick auf Sir Edward, der gewinnend zurücklächelte.
»Also, da gehst du mir nicht hin«, erwiderte ich. »Und David auch nicht.«
Gegenüber Nefret sprach ich dieses Verbot nicht aus, weil mir niemals in den Sinn gekommen wäre, daß sie dorthin gehen könnte. Autopsien und zerfleischte Leichen: ja; die Aufenthaltsorte von Schwerverbrechern: ohne weiteres; aber ein Haus der käuflichen Liebe …
Ich kann mir nicht erklären, wie ich so blauäugig sein konnte.
Sir Edward verabschiedete sich an der Koppel von uns, wo wir unsere Pferde in der Obhut eines von Abdullahs unzähligen jungen Verwandten zurückgelassen hatten. Er erneuerte sein Hilfsangebot nicht, doch der bedeutungsvolle Blick, den er mir zuwarf, versicherte mir, daß er zu seiner Aussage stand und diese auch vertreten würde. Er machte eine gute Figur zu Pferd, und nicht nur Nefrets Blick ruhte auf seiner hoch aufgerichteten Gestalt, als er in Richtung der Fähre ritt.
Wir machten uns auf den Ritt nach Hause, und Cyrus sagte: »Ich will mich nicht einmischen, Emerson, aber ich verstehe einfach nicht, warum Sie Sir Edwards Angebot nicht annehmen. Er ist ein kräftiger junger Bursche und auch nicht auf den Kopf gefallen.«
»Ich will nicht, daß er hier herumhängt und meiner Frau schöne Augen macht«, knurrte Emerson. »Oder Nefret.«
»Nun ja«, meinte Cyrus in seinem langsamen, gedehnten Tonfall, »ich kann mich nicht entsinnen, daß es irgendein Gesetz gibt, das einem jungen Mann verbietet, einer Dame seine höfliche Aufwartung zu machen, solange sie nichts dagegen hat. Und ich habe das Gefühl, daß es ihm Miss Nefret mit aller Deutlichkeit vermitteln würde, wenn ihr irgend etwas nicht paßte.«
»Verfl … äh … absolut korrekt«, sagte Nefret. »Red nicht wie ein viktorianischer Papa, liebster Professor. Wir brauchen Sir Edward. Insbesondere wenn Lia und Tante Evelyn und Onkel Walter zu uns stoßen.«
»Im Haus ist nicht genügend Platz«, brummte Emerson. Damit erstarb das Grollen des Vulkans; Emerson hat seine kleinen Schwächen, aber er ist kein Narr, deshalb fügte er sich in das Unvermeidliche.
»Wir haben genug Platz, wenn wir unsere Lieben von ihrem Besuch abhalten können«, sagte ich. »Sir Edward logiert im Winter Palace, nicht wahr? Wir werden mit ihm sprechen oder ihm eine Nachricht hinterlassen und sein Angebot annehmen.«
Wenigstens entstand keine weitere Diskussion hinsichtlich unserer nächsten Schritte. Es war zwingend erforderlich, daß wir uns auf die Suche nach Layla begaben, und je eher, desto besser. Meiner Meinung nach war Luxor mit absoluter Wahrscheinlichkeit ihr Ziel und von daher gesehen der beste Ansatzpunkt, eine Spur von ihr zu finden. Mein Vorschlag, daß Ramses nach Hause gehen und sich ausruhen sollte, wurde von eisigem Schweigen seinerseits und einer kritischen Äußerung von Nefret kommentiert. »Ich würde nicht darauf vertrauen, daß er dort bleibt, Tante Amelia. Wir lassen ihn besser mitkommen und haben ein Auge auf ihn.«
Ich hatte keineswegs vorgehabt, sie mitkommen zu lassen; als ich jedoch darüber nachdachte, traute ich ihr ebensowenig. Also ritten wir geradewegs zu den Docks, und zwei unserer Männer ruderten uns in einem kleinen, eigens für diesen Zweck bereitgehaltenen Boot über den Fluß.
Aus Manuskript H
»Wie können wir sie loswerden?« wollte Nefret wissen. Sie warteten draußen vor dem Fahrkartenschalter, während die beiden Oberhäupter der Familie Emerson mit dem Bahnhofsvorsteher diskutierten. Der Bahnsteig, der Bahnhof und der Weg dorthin waren von Menschen gesäumt, die auf den Zug nach Assuan warteten. Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Luft war
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