Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
bin ich mir vollkommen bewußt, Sir. Wenn ich richtig informiert bin, handelt es sich bei der Besitzerin dieses Hauses um dieselbe Frau, die Mrs. Emerson und ich vor einigen Jahren kennenlernten. Damals war es mir möglich, Ihrer Gattin einige kleinere Gefälligkeiten zu erweisen. Darf ich zu hoffen wagen, daß mir das auch diesmal gestattet wird?«
Mit einer abwertenden Geste überging Emerson stirnrunzelnd sein Angebot. »Wir vergeuden nur unsere Zeit mit diesen leeren Höflichkeitsfloskeln. Die Spurensuche ist noch nicht abgeschlossen.«
Sir Edward war intelligent genug, von weiteren Argumenten abzusehen. Er folgte uns jedoch mit gehörigem Sicherheitsabstand, während wir die restlichen Zimmer und den offenen Dachboden untersuchten. Außer einem leeren Gefäß, das Opium enthalten hatte, und einer Wasserpfeife fanden wir keine persönlichen Gegenstände. Die Küche, ein separates Gebäude neben dem Haupthaus, befand sich in einem grauenvollen Zustand. Es roch nach verfaultem Gemüse, sauer gewordener Milch und nach dünnem ägyptischem Bier. Der einzig ungewöhnliche Gegenstand war eine zerbrochene Flasche aus grünem Glas. Ramses untersuchte die Scherben, bis er das Etikett gefunden hatte.
»Moet et Chandon«, sagte er.
»Die Dame hat einen kostspieligen Geschmack«, murmelte Sir Edward.
»Und verfügt über die entsprechenden finanziellen Mittel«, bemerkte ich. »Sie hat zwei wohlhabende Ehemänner beerbt.« Der einzige Ort, den wir noch nicht durchsucht hatten, war der Schuppen. Für mich war es schon schmerzlich genug gewesen, den Raum zu sehen, in dem Ramses gefangengehalten worden war; der Knebel und die Fesseln waren die stummen und unübersehbaren Zeugen für die langen Stunden der Qual und Ungewißheit. Der schmutzige kleine Schuppen war vermutlich noch grauenvoller. Mein einfühlendes Vorstellungsvermögen – eine meiner ausgeprägtesten Eigenschaften – sah David hilflos und verletzt auf dem harten Boden liegen, voller Verzweiflung auf seine Rettung harrend, das Schlimmste befürchtend und nicht wissend, was seinem Freund zugestoßen war, den er wie einen Bruder liebte. Wie hätte sein Schicksal und das von Ramses ausgesehen, wenn Layla ihnen nicht geholfen hätte? Sicherlich kein schneller, leichter Tod, denn ihre Angreifer hätten sich ihrer jederzeit entledigen können. Eine Reihe von Alternativen schoß mir durch den Kopf und ließ mich erschauern.
Der gräßliche, kleine Schuppen bot nicht genügend Platz für uns alle, deshalb überließ ich Emerson und Ramses dessen Durchsuchung. Allerdings fanden sie lediglich einen umgestürzten Bierkrug, einige Zigarettenkippen, eine Fackel und eine dünne Schicht schmutzigen Strohs.
In der Hoffnung, daß Abdullahs Nachforschungen mehr ans Licht gefördert hatten, kehrten wir zu seinem Haus zurück. Unsere Leute waren seit Tagesanbruch auf den Beinen, und ich muß sagen, sie hatten das Dorf gründlich durchkämmt. Eine Gruppe von Zeugen erwartete uns, einige widerwillig murrend, andere wiederum neugierig und mitteilsam. Abdullah führte sie einzeln zu uns, während wir den von Kadija servierten Tee schlürften.
Alle hatten von Laylas Rückkehr gewußt; insbesondere für einige Männer war das ein interessanter Gesprächsstoff gewesen. Als sie allerdings versucht hatten, ihre alte Bekanntschaft wieder aufzufrischen, hatte sie ihnen die kalte Schulter gezeigt. Das hatte sie zwar verärgert, aber nicht überrascht; Layla war schon immer unberechenbar gewesen, wie einer von ihnen es ausdrückte und dann philosophierte: »Das kommt davon, wenn man Frauen eigenes Geld zugesteht. Dann machen sie, was sie wollen, statt die Wünsche der Männer zu erfüllen.«
»Verflucht richtig«, sagte Nefret, nachdem dieser letzte Zeuge den Raum verlassen hatte. »Ich bitte um Entschuldigung, Tante Amelia und Mrs. Vandergelt.«
»Schon gut«, sagte Katherine lächelnd. Sie hatte sich an Nefrets unbotmäßige Ausdrucksweise gewöhnt, und ich hatte die Hoffnung mehr oder weniger aufgegeben, Nefret davon abzubringen. In dieser Hinsicht hatte sie eine ganze Menge von Emerson übernommen.
Abgesehen von der Information über Layla, wußte die Mehrheit der Zeugen nicht viel Aufschlußreiches zu berichten, auch wenn einige der Männer das wenige, was sie zu sagen hatten, überaus ausschweifend zum besten gaben. Man hatte Fremde in Laylas Haus ein und aus gehen gesehen; unfreundliche Menschen, die nicht dazu bereit gewesen waren, irgendwelche Fragen zu
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