Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
Ramses.
»Aber das durfte man im Beisein der anderen auch nicht erwarten. Ich erwähnte eine Belohnung. Vielleicht bekommen wir noch irgendwelche Informationen von einer der … äh … Damen.«
»Mädchen, meinst du wohl«, zischte Nefret. »Einige waren nicht älter als …«
Ramses bekam einen Hustenanfall, und Nefret beeilte sich zu sagen: »Ich bin sicher, Sie möchten noch etwas Tee, Sir Edward. Bitte bringen Sie mir Ihre Tasse.«
Gehorsam erhob er sich, lächelte verunsichert und näherte sich ihr.
»Und woher«, bohrte ich, »weißt du über ihr Alter?«
»Ach, zum Teufel!« sagte Nefret.
»Verdammt!« rief Sir Edward und ließ seine Tasse fallen. Dampfender Tee und hellrotes Blut tropften auf Nefrets Kleid. Fauchend zog Horus seine Krallen ein, die er in Sir Edwards Hand geschlagen hatte.
Ich griff zu Erster Hilfe und Entschuldigungen, die Sir Edward mit der Bemerkung kommentierte, daß er erfreut sei, Miss Forth im Besitz eines so treuen Bewachers zu wissen. Mit der Ausrede – die sicherlich einen gewissen Wahrheitsgehalt barg –, daß sie sich umziehen und das Blut auswaschen müsse, bevor es eintrocknete, verließ Nefret fluchtartig den Raum. Emerson erklärte, daß er vor dem Abendessen noch Arbeiten zu erledigen habe. Sir Edward warf ein, daß er einen Spaziergang unternehmen wolle. Wie die Jungen mir entwischten, weiß ich nicht mehr, doch als ich mich umsah, bemerkte ich, daß ich allein war.
Zunächst machte ich mich auf die Suche nach Ramses, konnte jedoch weder ihn noch David irgendwo im Haus ausfindig machen. Nefret hatte ihre Tür verriegelt. Als sie auf mein Klopfen nicht reagierte, ging ich zum Fenster und pochte auf die Läden, bis sie diese öffnete. Wir plauderten eine Zeitlang.
Nachdem ich sie verlassen hatte, machte ich mich auf die Suche nach Emerson und entdeckte ihn in einem stillen Winkel des Innenhofes. Er rauchte Pfeife und unterhielt sich mit Ramses. Als er mich sah, sprang Ramses auf. Vielleicht war das auf seine guten Manieren zurückzufuhren, die ich ihm beigebracht hatte, doch seine Haltung verriet mir eher, daß er fluchtartig verschwinden wollte.
»Schelte den Jungen nicht, Peabody«, sagte Emerson und rückte auf der Bank zur Seite. »Er ist mannhaft zu mir gekommen und wollte die volle Verantwortung für Nefrets Verhalten übernehmen. Ich halte ihn nicht für verantwortlich.« Er seufzte. »Meiner Meinung nach kann niemand die Verantwortung für Nefret übernehmen.«
»Ich habe gerade mit ihr gesprochen«, erwiderte ich. »Ah«, sagte Emerson hoffnungsvoll. »Versprach sie dir, daß sie das nie wieder machen würde?«
»Nein. Sie sagte, daß sie es jederzeit und bei nächster Gelegenheit wiederholen würde.« Irgendwie zerknirscht, lächelte ich meinen Sohn an. »Setz dich, Ramses, und mach nicht so ein betretenes Gesicht. Ich gebe dir nicht die Schuld. Nefret ist … kurz gesagt, ist sie genau die Tochter, die ich mir immer gewünscht habe! Sie ist entschlossen, diesen unglücklichen Frauen zu helfen, und ich glaube auch, daß sie das kann und wird.«
»Sie möchte alles Leid dieser Welt kurieren«, sagte Ramses. Er schien einen Käfer zu beobachten, der zielstrebig auf ein Stück Brotkruste zukrabbelte. »Es wird ihr noch das Herz brechen, Mutter.«
»Gebrochene Herzen kann man reparieren«, entgegnete ich. »Ein Herz, das gegen Schmerz und Leid unempfindlich ist, kennt auch keine Freude.«
Emerson schnaubte, und Ramses blickte auf. »Das ist zweifellos richtig, Mutter. Allerdings müssen wir auch die Risiken für Nefrets … äh … Leben erwägen. Abgesehen von den anderen Gefahren, die die Auseinandersetzung mit einem solchen Etablissement birgt, werden einige der Frauen im Haus der Schwalben mit großer Wahrscheinlichkeit von unserem unbekannten Widersacher bezahlt.«
»Verflucht richtig«, sagte Emerson. »Ich erlaube keinem von euch, dieses Viertel auch noch einmal zu betreten, haben wir uns verstanden?«
»Ich bezweifle auch, daß weitere Besuche zu nützlichen Hinweisen führen«, erwiderte Ramses. »Wir haben getan, was wir konnten.«
»Ganz meine Meinung«, sagte ich. »Geh jetzt und suche David, Ramses, und sag ihm, daß er aus seinem Versteck herauskommen kann. Das Abendessen wird in Kürze serviert.«
Nachdem er im Anschluß an das Abendessen eine Tasse Kaffee mit uns getrunken hatte, bat Sir Edward, ihn zu entschuldigen. »Ich muß einige Briefe schreiben«, erklärte er lächelnd. »Meine liebe Mutter ist recht gebrechlich. Ich versuche
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