Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
darf«, sagte ich nachdenklich. »Aber abgesehen von der Ungebührlichkeit einer solchen Handlung, scheinen Sie noch einen besonderen Grund dafür zu sehen – eine spezielle Gefahr. Ich darf doch um etwas mehr Detailgenauigkeit bitten.«
»Verstehen Sie denn nicht?« Er ließ seine Tasse sinken und wandte mir sein Gesicht zu. »Ihr erster Besuch traf sie unerwartet. Sie hatten nicht mit ihrem Kommen gerechnet. Wer hätte das auch schon?«
»Vermutlich hatten sie auch nicht mit Ramses und Da vid gerechnet.«
»Nein. Aber es war ihr Verhalten, ihr offenherziges, großzügiges Angebot an diese unglückseligen Frauen, das jemanden dazu veranlaßt haben könnte, sie in eine Falle zu locken. Ich habe nie geglaubt, daß diese Mitteilung echt war. Wenn Sie sich nicht eingeschaltet hätten – wäre sie dann nicht vielleicht allein zu dieser Verabredung gegangen? Könnte es nicht sein, daß sie auf ein weiteres Bittgesuch eingeht oder dem Entsetzen dieses Hauses trotzt, weil sie glaubt, daß die Verfasserin der Notiz bedroht wird? Sie müssen sie überzeugen, daß eine solche Reaktion reiner Wahnsinn wäre!«
Seine Stimme zitterte vor Erregung. Machte er sich wirklich solche Sorgen um sie? Vielleicht hatte ich ihn falsch eingeschätzt?
»Empfinden Sie so viel für sie, Sir Edward?« Nach einigen gurgelnden Atemgeräuschen bemerkte Sir Edward:
»Mittlerweile sollte mir Ihre Direktheit vertraut sein, Mrs. Emerson. Sie haben mich einmal gewarnt, daß ich niemals ihre Aufmerksamkeit gewinnen könnte.« »Hatte ich recht?«
»Ja.« Seine Stimme klang leise seufzend. »Damals glaubte ich Ihnen nicht, doch nachdem ich sie in dieser Saison beobachtet habe, weiß ich, daß sie niemals die meine werden wird.«
Er hatte meine Frage nicht beantwortet. Es bestand keine Veranlassung, sie zu wiederholen, da ich die Antwort kannte.
Der Zug hatte Verspätung. Es war gegen drei Uhr morgens, als mich die langersehnten Geräusche auf die Veranda stürmen ließen. Emerson hatte eine Kutsche für die Reisenden und ihr Gepäck gemietet (ich wies ihn ständig daraufhin, daß wir uns eine eigene zulegen sollten, aber auf diesem Ohr war er taub), und schon kurz darauf durfte ich Evelyn und Walter wieder in meine Arme schließen. Beide waren übermüdet, wollten sich jedoch nicht zur Ruhe begeben, bevor sie nicht mit eigenen Augen ihr Kind gesehen hatten.
Nefret war auf der Matratze eingedöst, die wir neben das Bett gelegt hatten, und die beiden Mädchen boten im Schein der Lampe einen hübschen Anblick mit ihren zerzausten Locken und ihren schlaftrunkenen Gesichtern.
Nefret wachte sofort auf. Ihre erste Geste bestand darin, ihren Zeigefinger auf ihre Lippen zu legen, so daß wir leise wieder aus dem Zimmer schlichen. Nefret folgte uns. Trotz ihrer Erschöpfung waren Evelyn und Walter zu aufgewühlt zum Schlafen. Wir zogen uns zu den von Fatima aufgetischten kalten Platten in den Salon zurück. Die Freude über unser Wiedersehen war einfach so groß, daß wir uns unter Tränen und herzlichen Umarmungen immer wieder ins Wort fielen.
Der erste zusammenhängende Satz, an den ich mich erinnern kann, stammte von Walter. »Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich Daoud erwürgen oder ihm von ganzem Herzen danken soll.«
»Letzteres«, meinte Emerson. »Gegen ihn bist du eine halbe Portion.«
»Trotzdem würde er sich nicht wehren«, sagte Ramses.
»Es war nicht sein Fehler, Onkel Walter.«
»Das versucht mir hier jeder einzureden.« Walter fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Nun, wenigstens sind wir hier, und es ist herrlich, euch alle wiederzusehen. Du siehst gut aus, Amelia – bemerkenswert gut unter den gegebenen Umständen.«
»Solche Geschichten lassen sie aufleben«, brummte Emerson.
Evelyn hatte dafür gesorgt, daß die Jungen sie zu beiden Seiten flankierten, und sie musterte sie nun mit mütterlich liebevoller Fürsorge. »Auch ihr beiden seht besser aus, als ich zu hoffen gewagt hätte. Deine Hand, Ramses …«
»Ist auf dem Weg der Besserung«, versicherte ihr Ramses. »Mutter und Nefret haben wieder viel Geschrei um nichts veranstaltet.«
Sie lächelte ihn an, wandte sich dann David zu und streichelte seine braune Wange. »Wir haben uns auch Sorgen um dich gemacht, mein Schatz. Wenn Lias Sicherheit nicht auf dem Spiel gestanden hätte, wären wir unverzüglich gekommen.«
Zu gerührt, um etwas zu erwidern, senkte David den Kopf und führte ihre Hand an seine Lippen.
Emerson wurde unruhig. Er verabscheut
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