Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
kündigten das Eintreffen von Horus an. Er war auf den Verandasims gesprungen und funkelte Ramses an, der von ihm wegrückte.
»Nun, da ist dein Schlangenwächter«, sagte ich. »Die geheiligte Katze des Re, die der Schlange der Dunkelheit den Kopf abtrennt.«
»Wenn sich Re auf diesen Kater hier verlassen hätte, würde die Sonne nie mehr aufgehen«, bemerkte Ramses. Nefret nahm den Kater auf den Arm, streichelte ihn und bedachte ihn mit Koseworten, die völlig unpassend für ein Tier seiner Größenordnung waren. »Er war Nefrets Held, nicht wahr?«
»Ekelhaft«, sagte Ramses.
Ich konnte ihm nur zustimmen.
Da ich meine Verabredung mit Miss Buchanan von der Missionsschule nicht hatte einhalten können, hatte ich sie und eine ihrer Kolleginnen zum Essen eingeladen – Katherine und Cyrus durften selbstverständlich auch nicht fehlen. Ich hatte ebenfalls die Absicht gehabt, Mr. Paul, den Fotografen, hinzuzubitten. Meine Motive waren völlig uneigennützig; er war ein Fremder in Luxor und kannte nur wenige Leute. Allerdings klärte mich Sir Edward darüber auf, daß er keine gesellschaftlichen Einladungen wahrnahm. »Er ist ein seltsamer kleiner Bursche. Fühlt sich in Gesellschaft unwohl.«
Sir Edward nahm ebenfalls nicht teil. Sein häufiges Verschwinden wurde zunehmend auffälliger. Ich bezweifelte, daß der seltsame kleine Mr. Paul diese Anziehungskraft auf ihn ausübte; Sir Edward hatte sicherlich die Bekanntschaft einer Touristin gemacht. Nicht, daß mich das etwas anging.
Ich kannte zwar Miss Buchanan, hatte ihre Kollegin, eine Miss Whiteside aus Boston, jedoch noch nicht kennengelernt. Genau wie Miss Buchanan hatte auch sie eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert. Keine der beiden Damen war ein Sinnbild für modische Eleganz; sie trugen ziemlich schlichte dunkle Kleider mit hübschen weißen Spitzenkragen und Manschetten. Es waren freundliche, aufgeschlossene Frauen, auch wenn sie die Geschicke des Allmächtigen häufiger als allgemein üblich in unsere Unterhaltung einfließen ließen. Das paßte Emerson zwar absolut nicht, dennoch verhielt er sich ganz Herr alter Schule und beschränkte sich darauf, seinen Unmut gelegentlich durch eine Grimasse auszudrücken. Bildung für Frauen war natürlich unser vorrangiges Gesprächsthema. Mein Interesse war selbstverständlich groß, trotzdem ertappte ich mich dabei, daß ich abgelenkt war – nach den neuerlichen Enthüllungen keineswegs erstaunlich.
War es tatsächlich Bertha, die erneut auf der Bildfläche aufgetaucht war, um mich zu quälen? Es war Jahre her, seit ich sie das letztemal gesehen oder von ihr gehört hatte, und ich hatte ernsthaft angenommen, daß sie ihr schändliches Treiben eingestellt hatte.
Ihr gegenüber besaß ich einen Vorteil, den mir Sethos nie gewährt hatte. Ich kannte ihr wahres Erscheinungsbild, denn sie war mehrere Wochen lang Tag für Tag in meiner Nähe gewesen. Nein – zwei Vorteile. Vielleicht hatte sie von Sethos gewisse Verstellungskünste übernommen, aber im Gegensatz zu ihm war sie kein Naturtalent.
Und doch … Niemand, der eine schillernde Figur der Gesellschaft in prächtiger Abendtoilette erlebt hat und die gleiche Frau dann am Morgen mit Augenringen und fahlen Wangen sieht, bezweifelt die Fähigkeit der Frauen, ihr Äußeres zu verändern. Bertha war jung und attraktiv gewesen. Würde ich sie wiedererkennen, wenn sie sich älter und gesetzter gab?
Mein Blick wanderte von Miss Buchanan zu ihrer Assistentin. Letztere war zwar erheblich jünger als ihre Vorgesetzte, aber beileibe nicht attraktiv. Beide hatten sich dem Segen der Kosmetikindustrie verweigert. Nein, dachte ich. Unmöglich. Bertha wäre eine Idiotin, wenn sie sich mir oder Emerson zu erkennen gäbe, der sie ebenso gut kannte wie ich (aber keineswegs besser). Eine geschickte Verbrecherin würde sich im verborgenen halten und ihre grausamen Pläne von Mittelsmännern ausführen lassen. Wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigen mußte, lag es da nicht nahe, daß sie als Verkleidung eines dieser allgegenwärtigen schwarzen Gewänder der ägyptischen Frauen des Mittelstandes wählte? Wenn sie ihre helle Haut dunkler tönte und lediglich ihre Augen durch den Gesichtsschleier erkennbar waren, konnte sie unbemerkt an mir vorübergehen.
Unvermutet schrak ich zusammen, da Miss Buchanan eine Frage an mich gerichtet hatte. Ich mußte sie bitten, diese zu wiederholen. Danach gab ich mir alle Mühe, mich wie eine tadellose Gastgeberin zu verhalten, doch
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