Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
nächsten Morgen stand er energiegeladen auf und freute sich auf seine Tagesaktivitäten. Als Katherine und Cyrus im Tal zu uns stießen, hatten wir bereits gut zwei Stunden Arbeit hinter uns gebracht. Cyrus inspizierte Grab Nr. 5 ohne große Begeisterung. »Es wird Jahre dauern, bis ihr diesen Schutt abgetragen habt, und dann stürzt vermutlich das Deckengewölbe ein«, erklärte er.
»Dieser Pessimismus paßt gar nicht zu Ihnen«, sagte ich. »Ach, verflixt, Amelia, so langsam entmutigt mich das alles. Die ganzen Jahre hier im Tal und kein einziger Erfolg. In Dra Abu’l Naga, ganz in der Nähe von eurem Tetisheri-Fund, erlebe ich das gleiche Trauerspiel. Irgend etwas muß ich doch endlich einmal finden!«
»Ich hatte Ihnen angeraten, Carter einzustellen«, sagte Emerson ungnädig.
»Ich konnte doch Amherst nicht entlassen, oder? Er tut sein Bestes. Wie wär’s, wenn wir uns Davis’ Grab einmal anschauten?« fügte Cyrus aufgebracht hinzu. »Zur Hölle mit diesem Burschen!«
Also brachen wir alle gemeinsam auf. Niemand außer Ned war dort, und er hielt Wache, das nahm ich jedenfalls an, weil nichts Aufsehenerregendes geschah. Er erklärte uns, daß Mr. Paul immer noch fotografierte und deshalb keine Besucher ins Grabinnere vordringen dürften.
»Ist Sir Edward bei ihm?« fragte ich. Ich hatte den jungen Mann an diesem Morgen noch nicht gesehen. Er war spät nach Hause gekommen und zeitig aufgebrochen. »Ja, Ma’am, er war schon bei Anbruch der Morgendämmerung hier«, schwärmte Ned. »Es ist sehr nett von Ihnen, daß Sie ihn entbehren können.«
»Ich wäre erfreut gewesen, andere Mitarbeiter meines Stabes zu entbehren«, konterte Emerson. »Kann dieser Bursche Smith etwa zeichnen? Ist mir unerklärlich, warum Davis ihn hierherholt, wenn David und Carter verfügbar sind.«
Während er noch leise vor sich hin brummte, kletterte Cyrus auf Neds Aufforderung hin die Stufen hinunter und spähte in den Durchgang. Freudestrahlend kehrte er zurück. Cyrus war ein wahrer Enthusiast und für einen Amateur wirklich gut informiert. Es grenzte beinahe an Tragik, daß er noch nie etwas Bemerkenswertes entdeckt hatte.
»Wann werden Sie den Sarkophag öffnen?« fragte Cyrus aufgeregt. »Verflixt, ich gäbe tausend Dollar, um dabeisein zu können!«
Katherine warf mir einen belustigten Blick zu. »Das würde er tatsächlich tun«, sagte sie. »Aber Mr. Ayrton ist nicht korrupt, Cyrus. Du kannst ihn keineswegs bestechen.«
»Also, Katherine, Mr. Ayrton weiß doch, daß ich das nicht so gemeint habe.«
»O nein, Sir«, sagte Ned. »Das heißt – ja, Sir, ich weiß das. M. Maspero trifft morgen ein. Ich bin sicher, er würde Ihnen die Erlaubnis geben.«
Emerson schnaubte. »Maspero? Verflucht, das ist dann das Ende dieses Grabes. Er wird es besichtigen wollen, und er wird jeden seiner Bekannten dazu auffordern, es zu betreten, und wenn schließlich alle einmal dort unten herumgetrampelt sind, wird sich nichts mehr an seinem ursprünglichen Standort befinden. Wie lange wird denn da unten noch fotografiert?«
Ned zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht, Professor.«
»Er weiß nicht sonderlich viel, was?« meinte Emerson ungnädig – allerdings erst, als wir uns auf dem Rückweg zu unserem Grab befanden.
Ramses beeilte sich, seinen Freund zu verteidigen. »Er darf keine eigenen Entscheidungen fällen, Vater. Sobald Maspero hier eintrifft, ist er der offiziell Verantwortliche.«
»Hinsichtlich der Fotos können wir Sir Edward fragen«, schlug ich vor. »Heute abend vielleicht.«
»Hmmm, ja«, stimmte Emerson zu. »Dieser junge Mann macht sich aufgrund seiner häufigen Abwesenheit mittlerweile verdächtig. Ich möchte ohnehin mit ihm reden.«
Da die Mittagszeit bereits verstrichen war, schlug Cyrus vor, zum Schloß zurückzukehren und dort ein verspä tetes Mittagessen einzunehmen. Alle waren einverstanden. Die einzig verbleibende Frage lautete: Was sollten wir mit Horus anstellen, den Nefret mitgenommen hatte?
Ausnahmsweise war er bei uns geblieben; normalerweise streifte er umher, jagte … das eine oder andere … und wir hatten jedesmal Probleme, ihn wieder einzufangen, wenn wir unseren Rückweg antraten. Jetzt fragte sie Cyrus, ob seine Einladung auch dem Kater galt.
»Aber natürlich, bringt ihn mit«, sagte Cyrus. »Mein Schatz«, entfuhr es Katherine. »Hast du vergessen, daß sich Sekhmet in … äh … anderen Umständen befindet?« Mir war klar, daß die Katze nicht guter Hoffnung war, ansonsten
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