Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
als schwierig, euch zu verzeihen, daß ihr mich rechtzeitig zum Abendessen mit diesen langweiligen Leuten zurückbringt.«
Trotz der Unterstützung durch einen motorisierten Schleppdampfer dauerte es fast zwei Wochen, bis wir Luxor erreichten. Die Verspätung beruhte auf den üblichen Verzögerungen, doch meine meist unfehlbare Intuition sagte mir, daß wir alle angespannt und nervös waren. Die Jungen waren besonders ruhelos, stolzierten den ganzen Tag und die halbe Nacht an Deck herum. Es bestand überhaupt kein Zweifel: Die gute alte Dahabije war einfach zu klein für solche Energiebündel, obwohl Fatima bereits mit dem Zug vorausgefahren war, um das Haus in Ordnung zu bringen, und David dadurch wieder eine eigene Kajüte hatte. Ich versuchte, mich mit wissenschaftlichen Arbeiten abzulenken, doch auch ich war trotz meiner Selbstdisziplin nicht in der Lage, mich zu konzentrieren. In den vergangenen Jahren hatte ich einen gewissen Ruf als Übersetzerin kleinerer ägyptischer Märchen erworben, doch als ich das vorhandene Material sichtete, fiel mir nichts ins Auge, was mich interessiert hätte. Die spannendsten hatte ich ohnehin schon übersetzt: »Das Märchen vom unglücklichen Prinzen und den beiden Brüdern«, »Die Abenteuer von Sinuhe«, »Der Schiffbrüchige«. Als ich Emerson meine Probleme darlegte, schlug er vor, ich solle mich historischen Dokumenten zuwenden.
»Breasted hat den ersten Band seiner Texte veröffentlicht«, fügte er hinzu. »Du könntest seine Übersetzungen korrigieren.« Emerson machte wieder einmal einen seiner kleinen Scherze. Mr. Breasted aus Chicago war ein Sprachwissenschaftler, den sogar Walter respektierte, und der erste Band seiner Altägyptischen Berichte hatte bei seiner Veröffentlichung im Frühjahr einhellige Zustimmung gefunden. Ich lächelte höflich. »Ich habe nicht die Absicht, Mr. Breasted auf die Zehen zu treten, Emerson.«
»Dann tritt Budge auf die Zehen. Seine Übersetzung des Totenbuches strotzt von Fehlern.«
»Ramses scheint daran zu arbeiten«, sagte ich. Ich hatte die Fotos auf Ramses’ Schreibtisch bemerkt und mich gefragt, wann und wo er sie erworben hatte.
»Das muß eine andere als die von Budge verhunzte Version sein. Wie du sicherlich weißt, befindet sich seine im Britischen Museum – eine von Budges verabscheuungswürdigen Gesetzesmißachtungen, Antiquitäten von Händlern zu erwerben. Warum die Museumsverwaltung diesen Halunken immer noch unterstützt …«
Ich verließ den Raum. Emersons Meinung von Mr. Budge war mir bestens vertraut.
Aufgrund der geschilderten, erschwerenden Umstände war ich um so erfreuter, als wir die letzte Biegung des Flusses hinter uns gelassen hatten und vor uns die Monumentalruinen der Tempel von Luxor und Karnak sowie die modernen Bauten des Dorfes Luxor auftauchten. Das Dorf entwickelte sich mehr und mehr zu einer Stadt mit neuen Hotels und Regierungsgebäuden, die überall wie Pilze aus dem Boden schossen. Touristendampfer säumten das Ufer. Unter ihnen befanden sich auch einige Dahabijen; wohlhabende Gäste, insbesondere diejenigen, die jedes Jahr nach Ägypten zurückkehrten, zogen den Komfort eines Privatbootes vor. Einer von ihnen war unser Freund Cyrus Vandergelt. Sein Boot, die Valley of the Kings, lag am Westufer von Luxor vertäut. Er war so liebenswürdig, sein privates Dock mit uns zu teilen. Als die Amelia unter den kompetenten Kommandos von Rais Hassan einlief, bemerkte ich bereits den üblichen Begrüßungstrupp, der uns erwartete. Abdullah stand dort, ehrwürdig wie ein Hohepriester in den von ihm bevorzugten, weißen Gewändern; Selim, sein jüngster und über alles geliebter Sohn, und Daoud und Ibrahim und Mohammed – die Männer, die schon seit langem für uns arbeiteten und unsere Freunde und wertvolle Arbeitskräfte waren. Im Laufe der Jahre hatte Abdullah sein anfänglich formelles Verhalten mir gegenüber nach und nach abgelegt; jetzt nahm er meine ausgestreckte Hand in seine beiden und drückte sie herzlich. »Du siehst gut aus, Abdullah«, sagte ich. Das entsprach der Wahrheit und beruhigte mich, da er im Jahr zuvor einen leichten Herzinfarkt erlitten hatte. Sein genaues Alter wußte ich nicht, doch sein Bart war schon bei unserer ersten Begegnung grau gewesen, und das lag mehr als zwanzig Jahre zurück. Wir hatten unsere Überzeugungsversuche, daß er sich mit seiner wohlverdienten Rente zurückziehen sollte, eingestellt; es hätte ihm das Herz gebrochen, uns und die Arbeit aufzugeben,
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