Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
die er genauso liebte wie wir. Abdullah straffte seine Schultern. »Mir geht es gut, Sitt. Und du … du veränderst dich nicht. Du wirst immer jung bleiben.«
»Aber, Abdullah«, sagte ich und lachte. »Ich glaube, das ist das erste Kompliment, das du mir jemals gemacht hast.« Ich überließ ihn der respektvollen Umarmung durch seinen Enkel David und ging zu Ramses, der sein Pferd umarmte. Der schöne Araberhengst war ein Geschenk unseres alten Freundes Scheich Mohammed, bei dem Ramses und David eine Weile gelebt hatten, um Reiten und Schießen zu erlernen – und, wie ich vermutete, andere Dinge, die sie vor mir nie zugaben. Temperamentvoll und doch fügsam, intelligent und prachtvoll, hatte Risha unsere Herzen ebenso im Sturm erobert wie seine Gefährtin Asfur, die David gehörte.
Emersons liebenswerte Flüche beendeten die Begrüßungszeremonie, und wir machten uns auf den Weg zum Haus. Fatima wartete auf der Veranda auf uns, und ich bemerkte erfreut, daß die von mir im Vorjahr gepflanzten Kletterrosen angegangen waren. Abdullah hatte sich nie die Mühe gemacht, sie zu gießen. Jetzt rankten sie sich in üppigem Grün und dunkelrot blühend entlang der neben den Fenstern angebrachten Spaliere.
In Begleitung von Selim schlenderten die jungen Leute sogleich zu den Stallungen; der junge Ägypter war ein außergewöhnlicher Bursche, und selbst Ramses kam nicht mehr zu Wort, wenn Selim in epischer Breite von dem ihm anvertrauten, lebenden Inventar berichtete. Die Esel waren gewaschen worden, die Ziege Tetisheri wurde immer dicker, und das Fohlen …
Im vergangenen Jahr waren Asfur und Risha stolze Eltern geworden. Nefret, deren Anspruch auf das hübsche, kleine Geschöpf niemand abstritt, hatte sie Mondlicht getauft; sie war grau wie ihr Vater, aber so hell, daß ihr Fell wie Perlmutt schimmerte. Nefret besaß eine unerklärliche Anziehungskraft auf Tiere aller Art; als wir Ägypten im Frühjahr verließen, folgte ihr das Fohlen bereits wie ein Schoßhündchen. Natürlich hatte es nie mit Sattel oder Peitsche Bekanntschaft gemacht.
Als Nefret zurückkehrte, strahlte ihr Gesicht vor Freude. »Sie erinnert sich an mich!«
»Gewiß«, sagte ich, denn Mondlicht war ihr auf den Fersen und schien sich mit der Absicht zu tragen, gemeinsam mit uns das Mittagessen einzunehmen. Verärgert über das Mißlingen, trabte sie zur Fensteröffnung und stupste Horus, der auf der Fensterbank saß, mit der Nase an. Horus war Pferde gewohnt, aber nicht innerhalb seines Hoheitsgebiets. Mit zu Berge stehendem Fell sprang er zischend auf, und das Fohlen wandte sich meinen Kletterrosen zu.
Schließlich überzeugte Nefret sie davon, mit Selim mitzugehen, und wir anderen konnten uns zum Essen niederlassen. Diese Art des bei uns üblichen Gemeinsinns war eine Quelle für die Skandalgeschichten der Europäischen Gesellschaft in Luxor. Die »liberaler« Gesinnten unter ihnen ließen sich von Zeit zu Zeit dazu herab, wohlhabende, gebildete Ägypter einzuladen, doch keiner von ihnen hätte sich mit seinen eigenen Arbeitern an einen Tisch gesetzt. Selbstverständlich hatten unsere Leute Besseres verdient.
Fatima lud ich natürlich nicht ein, sich zu uns zu gesellen. Die Vorstellung, mit einer Gruppe von Männern an einem Tisch zu sitzen, hätte sie ebenso entsetzt wie die Männer. Sie eilte hin und her und servierte uns die Speisen und Getränke.
Als wir über alles Wissenswerte geplaudert hatten – Eheschließungen, Todesfälle, Krankheiten, Geburten –, schob Emerson seinen Stuhl zurück und nahm seine Pfeife aus der Tasche. »Also, Selim«, meinte er gönnerhaft. »Womit beschäftigen sich deine verfluchten Verwandten in Gurneh denn zur Zeit? Mit irgendwelchen neuen Gräbern?«
Ein Anflug der Verärgerung glitt über die unergründlichen Gesichtszüge meines Sohnes, der seinen Lieblingsplatz auf dem Fenstersims eingenommen hatte, den Rücken gegen einen Pfeiler gestützt. Ich glaubte den Grund dafür zu kennen, denn ich teilte seine Auffassung. Emerson ist so direkt und geradlinig und begreift gar nicht, daß Fragen dieser Art mehr Fingerspitzengefühl erfordern. Selim war mit einer ganzen Reihe von Gurnawis verwandt und verschwägert, und eine Vielzahl von Gurnawis beschäftigte sich mit Grabraub. Eine unverhohlene Frage brachte alle unsere Männer, insbesondere Abdullah, in eine schwierige Position; entweder mußten sie uns von den Aktivitäten ihrer Sippe berichten oder uns anlügen.
Selim, der auf dem Sims neben Ramses und David
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